Das stellvertretende Sühnopfer Jesu
Es gehört seit jeher zum grundlegendsten Verständnis des Evangeliums, dass es sich bei Jesu Opfer am Kreuz um ein von Gott geplantes und von ihm durchgeführtes Stellvertretungsopfer zur Sühnung von Sünden handelt. In den letzten 200 Jahren hat sich aber ein großer Widerstand gegen diese biblische Lehre vom Sühnopfer Jesu formiert. Ein Widerstand, der von Glaubenskritikern ausging, mittlerweile aber auch viele Kirchen und Gemeinden infiziert hat.
Während man keine Schwierigkeiten hat, davon zu sprechen, dass Gott seinen Sohn, Jesus Christus, von den Toten auferweckt hat (vgl. Apg 4,10; 5,30), fällt es vielen schwer, die Tatsache zu akzeptieren, dass auch Jesu Kreuzigung von Gott vorherbestimmt und in die Wege geleitet wurde. Dabei spricht die Bibel sehr deutlich davon, dass Gott seinen Sohn in den Tod gegeben hat, dass es zu Gottes Heilsplan gehörte, dass Christus sterben musste.
Andererseits spricht die Bibel aber auch sehr klar von der Schuld, die die beteiligten Menschen auf sich geladen haben, als sie den einzig Gerechten, den Herrn der Herrlichkeit ans Kreuz geschlagen haben. In seiner Pfingstpredigt richtet Petrus sich mutig an die verantwortlichen Juden, und sagt ihnen: „Männer von Israel, hört diese Worte: Jesus, den Nazoräer, einen Mann, der von Gott euch gegenüber erwiesen worden ist […] diesen Mann, der nach dem bestimmten Ratschluss und nach der Vorkenntnis Gottes hingegeben worden ist, habt ihr durch die Hand von Gesetzlosen ans Kreuz geschlagen und umgebracht“ (Apg 2,22-23).
Eine sehr starke Aussage. Eine gleiche Formulierung finden wir auch beim Apostel Paulus: „Er [Gott], der seinen eigenen Sohn nicht verschont, sondern für uns alle dahingegeben hat, wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken?“ (Röm 8,32). Jesus starb, weil Gott es so geplant hatte!
Das stellvertretende Sühnopfer Jesu in den Evangelien
Die Evangelien betonen mehrfach, dass Jesus leiden musste (vgl. Mk 8,31; Lk 17,25; 24,7); es führte kein Weg an diesem schrecklichen Gericht vorbei. Noch deutlicher wird dies, wenn man die alttestamentlichen Prophezeiungen des leidenden Messias betrachtet:
Matthäus betont dies oft, indem er explizit davon spricht, dass „damit erfüllt würde, was durch den Propheten gesagt ist“. Besonders prägnant ist seine Bezugnahme auf Jesaja 53: „Er hat unsere Leiden getragen und unsere Schmerzen auf sich geladen“ (Mt 8,17), doch er zitiert auch andere Stellen, wie Sacharja 11,12-13, wo von den 30 Silberlingen die Rede ist, dem Preis des Verrats (vgl. Mt 26,15), oder Psalm 22 (vgl. Mt 27,46).
Markus erwähnt weniger explizit die Erfüllung der Prophezeiungen, betont aber stark, dass Jesu Leiden im Einklang mit Gottes Plan steht. Auch er bezieht sich auf Jesaja 53 und Psalm 22, um deutlich zu machen, dass Jesus der leidende Gottesknecht ist (vgl. Mk 15,34).
Lukas betont ebenfalls, dass in Jesu Leiden Gottes Voraussagen erfüllt wurden (vgl. Lk 24,44).
Und auch Johannes fügt seinem Bericht über das Kreuzesgeschehen mehrmals den Hinweis hinzu: „damit die Schrift erfüllt würde“ (Joh 19,24.28.36).
Immer wieder, wenn Jesus von seinem bevorstehenden Tod sprach, wies er selbst darauf hin, dass es so geschehen müsse, wie es im Alten Testament ankündigt ist: „Der Sohn des Menschen geht dahin, wie über ihn geschrieben steht“ (Mt 26,24).
Der Hebräerbrief offenbart, wie die Fäden der Heilsgeschichte des Alten und Neuen Testaments in Christi Opfer zusammenlaufen. Er macht deutlich, dass die Tieropfer unter dem Alten Bund niemals wahrhaftig die Schuld tilgen konnten (Hebr 10,4). Die Opfertiere des Alten Bundes mussten körperlich untadelig sein und dienten als unfreiwillige Stellvertreter. Christus hingegen brachte sein Opfer sowohl freiwillig dar als auch als derjenige, der vollkommen gerecht vor Gott steht, als der, der in jeder Hinsicht untadelig ist (Hebr 9,14). Die Tieropfer mussten immer gebracht werden und konnten kein ewiges Leben schenken, aber Christus brachte sein Opfer „ein für alle Mal und hat uns so eine ewige Erlösung erworben“ (Hebr 9,12).
Jesu Tod war also kein Zufall und auch – so schrecklich er war – kein unglückliches Missgeschick, sondern ein Höhepunkt von Gottes Heilshandeln, wie es schon in den Schriften des Alten Testaments angekündigt war.
Das stellvertretende Sühnopfer Jesu als Beweis der Herrlichkeit und Gerechtigkeit Gottes
Das Konzept der stellvertretenden Sühne, dass Christus stellvertretend die Strafe für Sünder trug, wird heute mittlerweile nicht nur von Liberalen, sondern auch von sogenannten Evangelikalen angegriffen. Sie behaupten, es sei grausam, dass Gott die Sünde mit dem Tod bestraft.
Der englische Pfarrer Steve Chalke sieht in der stellvertretenden Sühne „eine Form kosmischen Kindesmissbrauchs: ein rachsüchtiger Vater, der seinen Sohn für Vergehen bestraft, die er nicht begangen hat.“
Er schreibt weiter:
„Es ist verständlich, dass Leute sowohl innerhalb als auch außerhalb der Kirche diese verdrehte Version des [Kreuzigungs-] Ereignisses als moralisch zweifelhaft und als ein riesiges Hindernis für den Glauben ansehen. Doch vielmehr noch, ein solches Konzept steht in totalem Widerspruch zu der Aussage: ‚Gott ist Liebe‘. Die Sicht, dass das Kreuz Gottes Gericht gegen die Menschheit sei, das von seinem Sohn getragen wird, spottet der Lehre Jesu, dass wir unsere Feinde lieben und Böses nicht mit Bösem vergelten sollen. In Wahrheit ist das Kreuz ein Symbol der Liebe. Es demonstriert, wie weit Gott als Vater und Jesus als Sohn Gottes zu gehen bereit sind, um uns diese Liebe zu beweisen.“
Diese Ablehnung des stellvertretenden Sühneopfers Jesu ist nicht neu. Es gab schon immer Kritiker, die diese wunderbare Lehre abgelehnt haben. Unter anderem vertrat auch der viel bewunderte Prediger Charles Finney die Sicht, dass Christus nicht für Menschen starb, sondern für etwas, für einen Zweck. Und zwar, um Gottes moralische Herrschaft wiederherzustellen und uns ein moralisches Vorbild zu geben, das uns den Weg zum ewigen Leben weisen soll.
Auf die Frage: „Warum starb Christus?“ Lautete Finneys Antwort, dass „das Sühnewerk den Geschöpfen die höchstmögliche Motivation zur Tugend böte.“ Und in Bezug auf die Rechtfertigung aus Glauben sagt er: „Die Lehre von der angerechneten Gerechtigkeit, oder dass Christi Gehorsam gegenüber Gottes Gesetz uns angerechnet würde, gründet sich auf einer der falschesten und unsinnigsten Annahmen […] Es kann keine Rechtfertigung eines Sünders im rechtlichen oder forensischen Sinn geben, sondern nur aufgrund seines perfekten und ununterbrochenen Gehorsams dem Gesetz gegenüber.“
Diese Zitate machen deutlich, dass das Problem der Sündhaftigkeit des Menschen, der Sünde als Verstoß gegen Gottes Heiligkeit und das Wunder der Wiederherstellung, das Christi Opfer vollbringt, viel zu gering geschätzt werden. Finney und andere Kritiker der Stellvertretung lehnen daher auch die völlige Verdorbenheit des Menschen ab. Sie sehen den Menschen nicht als hilflosen Sünder an, der Gottes Gnade und souveränes Eingreifen benötigt, um erlöst zu werden, sondern als eigensinnige Sünder, die eine Demonstration von Selbstlosigkeit benötigen. Aus diesem und weiterer Gründe sind Finney und seine Theologie abzulehnen (siehe dazu auch unsere kostenlose Broschüre: Charles G. Finneys beunruhigender Einfluss).
Für Gott ist das höchste Ziel aller Dinge, seine Herrlichkeit sichtbar werden zu lassen (vgl. Hab 2,14). Gott handelt um seines Ruhmes und um der Ehre seines Namens willen (vgl. Jes 43,6-7; 48,9-11; Eph 1,4-7). Da Gottes Herrlichkeit alles umfasst und alles überragt, muss Gott notwendigerweise seine eigene Herrlichkeit zum Ziel aller Dinge machen. Allerdings geschieht dies, anders als bei uns, in Gottes Fall nicht aus Egoismus, sondern zu unserem eigenen Wohl. Zu Gottes Herrlichkeit gehört auch seine absolute Heiligkeit und Gerechtigkeit. Aus diesem Grund befiehlt uns der Herr, ihn und seine Herrlichkeit widerzuspiegeln, indem wir beispielsweise selbstlose Liebe anderen gegenüber erweisen und all das lieben, was rein, gerecht und heilig ist (vgl. Röm 12,2; Eph 5,1-20).
Allerdings macht Gottes Wort deutlich, dass wir ohne Unterschied alle gesündigt haben, „und ermangeln der Herrlichkeit Gottes“ (Röm 3,23). Gottes Gerechtigkeit und Heiligkeit verlangen, dass jede Ungerechtigkeit bestraft wird. Seine Gebote sind nicht aus der Luft gegriffen, sondern sie fordern das, was als der absolute ewig gültige Maßstab von richtig und falsch, gerecht und ungerecht, von herrlich und gut anzusehen ist. Jeder Verstoß dagegen muss bestraft werden. Daher musste Christus ganz persönlich und freiwillig für unsere Sünden bezahlen, indem „er selbst unsere Sünden am eigenen Leib ans Holz hinaufgetragen“ hat (1Petr 2,24).
Christus steht in direkter Verbindung zu jedem dessen Sünden er ans Kreuz getragen hat. Wenn irgendeine wildfremde Person in finanziellen Schwierigkeiten ist, dann kann ich helfen, bin aber nicht dazu verpflichtet. Wenn es sich bei dieser in Not geratenen Person aber um mein eigenes Kind oder meine Ehefrau handelt, dann ist es nur vernünftig, dass ich die Schuld bezahle, um den geliebten Menschen vor schlimmen Konsequenzen zu bewahren.
Das verbindende Glied, das uns in den Zustand versetzt, nicht mehr Wildfremde in Gottes Augen zu sein, sondern seine Kinder, besteht allein in Gottes Gnade, durch die er uns durch Jesu Blut mit ihm vereint hat (Eph 2,12-13). Daher ist Gott auch nicht nur gnädig und barmherzig, wenn er den Glaubenden die Schuld vergibt, sondern er ist „treu und gerecht, dass er uns vergibt und uns reinigt von aller Ungerechtigkeit“ (1Joh 1,9). „[Wir] werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung, die durch Christus Jesus geschehen ist. Den hat Gott für den Glauben hingestellt als Sühnung durch sein Blut zum Erweis seiner Gerechtigkeit“ (Röm 3,24).
Jesu stellvertretendes Opfer ist somit die höchste Offenbarung von Gottes Herrlichkeit und Gerechtigkeit – sowohl die des Sohnes als auch des Vaters (vgl. Joh 13,31). Das Kreuz Jesu ist die deutlichste Zurschaustellung von Gottes Wesen – des Gottes, der alles gibt und nichts zurückhält, um seine Kinder zu erlösen (vgl. Röm 8,32). Gottes Heilsgeschichte ist eine Geschichte dieser unverdienten Gnade und der erstaunlichen Liebe Gottes. Sie ist der Höhepunkt seiner Herrlichkeit.
Wenn wir die stellvertretende Sühnung aufgeben, geben wir nicht nur die Heilsgeschichte auf, sondern auch die Liebe und Herrlichkeit Gottes. „Dann haben wir einen Gott, der sich weigert, seinen Sohn im höchsten Maß zu verherrlichen, der nicht bereit ist, seinen Kindern alles von sich zu geben und der seinen Sohn schickt, um zu leiden und zu sterben, obwohl er uns auch auf andere Weise hätte retten können. Das wäre kosmischer Kindesmissbrauch!“ (Robert Rothwell).
Somit ist Jesu Sühneopfer nicht nur ein historisches Ereignis, sondern eine lebendige Realität, die das Leben der Gläubigen grundlegend verändert und prägt.
Das Herz des wahren Evangeliums besteht darin, dass Gott die Gottlosen allein durch aus Gnade durch den Glauben an Jesus Christus errettet und rechtfertigt (vgl. Eph 2,8-9). Die einzige Möglichkeit, um als Sünder gerecht vor Gott dazustehen, wurde von Gott selbst geplant und bewerkstelligt und wirksam umgesetzt. Er hat seinen Sohn dem Tod ausgeliefert und ihn wieder von den Toten auferweckt, damit der Sohn „durch [s]ein Blut Menschen für Gott erkauft aus jedem Stamm und jeder Sprache und jedem Volk und jeder Nation“ (Offb 5,9b).
Daher gelten „dem, der auf dem Thron sitzt, und dem Lamm … Lobpreis und die Ehre und die Herrlichkeit und die Macht von Ewigkeit zu Ewigkeit“ (Offb 5,13b).