Die Speisung der 5000 in den Evangelien
Alle vier biblischen Evangelien berichten von der Speisung der 5000, und die Tatsache, dass sie von allen Evangelisten erwähnt wird, weist auf ihre Bedeutung hin. Als Leser haben wir das Privileg, die Geschichte aus vier verschiedenen Perspektiven zu betrachten.
Historisch gesehen ist die vierfache Erwähnung der Speisung der 5000 ein Hinweis auf ihre Historizität. Es ist wirklich so geschehen. Jesus hat tatsächlich fünftausend Männer, Frauen und Kinder mit nur fünf Broten und zwei Fischen gespeist. Das wirft die Frage auf: Wer ist Jesus?
Auf der literarischen Ebene können wir die Evangelien sowohl vertikal als auch horizontal lesen. Wenn wir sie vertikal lesen, fragen wir: Wie passt die Speisung der 5000 in den Erzählfluss des jeweiligen Evangeliums? Lesen wir sie horizontal, fragen wir: Inwiefern ergänzen sich die vier Evangelien durch einzigartige Details?
Auf der christologischen Ebene betrachten wir das Ereignis und fragen: Was sagt uns die Speisung der 5.000 über Jesus und wer er ist? Wie sollen wir darauf antworten?
Die Speisung der 5000 bei Matthäus
Matthäus liefert uns den Kontext für die Speisung der 5000 im Dienst Jesu. Nachdem Jesus eine Reihe von Gleichnissen gepredigt hat, kommt er in seine Heimatstadt Nazareth, wo die Menschen ihn ablehnen (Mt 13,53-58). Als Herodes Antipas, der Herrscher von Galiläa, von Jesus hört, hält er ihn für den von den Toten auferstandenen Johannes den Täufer, was zu einer Rückblende auf die Enthauptung des Johannes durch Herodes führt (Mt 14,1-12). Danach zieht sich Jesus mit dem Boot an einen ruhigen Ort zurück. Als die Menge hört, dass Jesus dort ist, und ihn aufspürt, heilt er aus Mitleid viele Menschen. Diese Menschen werden die Empfänger der wunderbaren Speisung Jesu.
Die Jünger weisen Jesus darauf hin, dass es schon spät und der Ort öde sei. Jesus sollte die Leute lieber wegschicken, damit sie sich in den umliegenden Dörfern etwas zu essen kaufen können. Aber Jesus sagt ihnen, dass sie den Leuten etwas zu essen geben sollen. Als sie ihm antworten, dass sie nur fünf Brote und zwei Fische haben, befiehlt Jesus der Menge, sich ins Gras zu legen. Er nimmt die Speisen, schaut zum Himmel auf und segnet sie. Dann gibt er die Brote den Jüngern, die sie an die Leute verteilen. Alle essen und werden satt. Am Ende sammeln die Jünger sogar noch zwölf Körbe mit Resten ein. Es sind über fünftausend Männer, dazu Frauen und Kinder.
Die Speisung der 5000 bei Markus
Markus erweitert den Kontext. Jesus sendet die Zwölf aus, um Dämonen auszutreiben und zu heilen (Mk 6,7-13). Wie bei Matthäus wird berichtet, dass Herodes von Jesus hört und ihn für den auferstandenen Johannes den Täufer hält (V. 14-29). Als die Zwölf von ihrer Mission zurückkehren, nimmt Jesus sie mit an einen einsamen Ort, um sich auszuruhen. Später heilt er viele Menschen und lehrt sie. Als Markus von der wunderbaren Speisung berichtet, fügt er die geschätzten Kosten von zweihundert Denaren hinzu, ein ganzer Jahreslohn, ein Detail, das später auch Johannes erwähnt. Markus lenkt unsere Aufmerksamkeit wiederholt auf die beiden Fische, die sich vermehrten, wahrscheinlich weil seine Hauptquelle, der Apostel Petrus, selbst Fischer war.
Die Speisung der 5000 bei Lukas
Auch Lukas berichtet seinen Lesern von der Aussendung der Zwölf durch Jesus kurz vor der Speisung und von der Vermutung des Herodes, Jesus sei der von den Toten auferstandene Johannes. Nach ihrer Rückkehr melden sich die Zwölf bei Jesus. Jesus nimmt sie mit nach Bethsaida (Lk 9,10). Er heilt die Kranken und verkündet den Menschen das Reich Gottes. Bei der Speisung weist Jesus die Jünger an, die Menschen in Gruppen von je fünfzig Personen sitzen zu lassen. Diese einzigartigen lukanischen Bezüge stehen im Einklang mit der bei Lukas üblichen Präzision und Aufmerksamkeit für sachliche Details.
Die Speisung der 5000 bei Johannes
Schließlich fügt Johannes hinzu, dass es die Zeit des Passahs ist (Joh 6,4). Er stellt die Speisung als eines der messianischen Zeichen Jesu dar (Joh 6,2.14.26.30). Johannes konzentriert sich durchgehend auf die souveräne Initiative Jesu und fügt spezifische Details hinzu, die wahrscheinlich die Erinnerung von Augenzeugen widerspiegeln. Er berichtet, dass Jesus Philippus fragt, wo er Brot kaufen könne, um die Menge zu speisen, und dass Philippus den Preis auf zweihundert Denare schätzt.
Dann erwähnt Andreas einen Jungen, der fünf Gerstenbrote und zwei Fische hatte (man beachte die Verbindung zu Elia und Elisa; siehe 1. Könige 17,21-22; 2. Könige 4,42-44). Johannes erinnert auch an das viele Gras. Die Menge schließt daraus, dass Jesus der von Mose angekündigte Endzeitprophet ist und will ihn zum König machen.
Nachdem Jesus sich mit seinen Jüngern zurückgezogen hat und auf wundersame Weise über das Wasser geht, hält er seine Rede vom Brot des Lebens. Das Volk fordert ihn auf, mehr zu tun als Mose, der den Israeliten während der Wüstenwanderung nach dem Auszug das Manna, das Brot vom Himmel, gegeben hatte. Jesus weist sie darauf hin, dass nicht Mose, sondern Gott dem Volk das Manna gegeben hat. Dann fügt er hinzu, dass er selbst das himmlische Brot ist (das erste der sieben Ich-bin-Worte im Johannesevangelium). So ergänzt Johannes die drei vorhergehenden Evangelien, indem er die christologischen Implikationen der Speisung hervorhebt.
Vergleiche und Zusammenfassung
Zwischen den vier Evangelien herrscht völlige Harmonie, wenn es um die Speisung der 5000 geht. Obwohl jeder Evangelist einzigartige Details erwähnt, erzählen alle vier im Wesentlichen die gleiche Geschichte. Matthäus ist der einzige, der neben den fünftausend Männern auch die Frauen und Kinder erwähnt. Markus und Lukas stellen die Speisung der Fünftausend in den Kontext der Aussendung der zwölf Jünger. Lukas ist der einzige, der sagt, dass Jesus die Jünger nach Bethsaida mitnimmt und dass Jesus den Leuten befiehlt, sich in Gruppen von fünfzig zu lagern. Johannes fügt hinzu, dass es Passahzeit ist und stellt die Speisung als eines der messianischen Zeichen Jesu dar.
Johannes ergänzt das bisherige Zeugnis der Evangelien in bedeutsamer Weise, indem er die Rede vom Brot des Lebens einführt, in der Jesus als das himmlische Brot bezeichnet wird. Jesus gibt den Menschen nicht nur Brot; er ist das Brot, das denen, die an ihn glauben, das ewige Leben schenkt. Damit weist Johannes den Weg zur Anwendung. Es genügt nicht, von den Wundern Jesu zu profitieren; du und ich müssen an Jesus, den Messias und Sohn Gottes, glauben und durch den Glauben das ewige Leben empfangen.
Jesus will uns weit mehr als nur Nahrung für den Tag geben, er will uns ewiges Leben schenken. So wird die Speisung zu einer Einladung, Jesus zu vertrauen und ihn als den vom Himmel gesandten Sohn Gottes anzuerkennen.
Anwendung
Für eine letzte Anwendung wenden wir uns wieder dem Bericht des Johannes zu. Nach der Speisung wird Jesus von seinen Gegnern herausgefordert:
„Was tust du nun für ein Zeichen, damit wir sehen und dir glauben? Was wirkst du? Unsere Väter aßen das Manna in der Wüste, wie geschrieben steht: ‚Brot aus dem Himmel gab er ihnen zu essen.‘“ (Joh 6,30-31).
Sie zitierten einen Psalm, wo steht, dass die Israeliten „der künftigen Generation erzählen die Ruhmestaten des HERRN und seine Macht und seine Wunder, die er getan hat“ (Ps 78,4). Doch die Generation der Wüstenwanderung zweifelte an Gottes Versorgung (Ps 78,20).
„Und doch hat er den Wolken oben geboten und die Türen des Himmels geöffnet. Und hat Manna auf sie regnen lassen, dass sie äßen, und ihnen Himmelsgetreide gegeben“ (Ps 78,23-24).
Vertrauen wir, anders als die Wüstengeneration, auf Gottes rettende Kraft und seine Treue. Jesus ist die Versorgung. Er verkörpert in höchstem Maße die Bundestreue Gottes. Er ist das Brot, das Leben schenkt. Dieses Brot können wir täglich zu uns nehmen, wenn wir durch den Geist in enger Gemeinschaft mit Jesus leben. Während viele Jünger Jesu murrten wie ihre Vorfahren in der Wüste und aufhörten, Jesus nachzufolgen, können wir mit Petrus verkünden:
„Herr, zu wem sollten wir gehen? Du hast Worte ewigen Lebens; und wir haben geglaubt und erkannt, dass du der Heilige Gottes bist“ (Johannes 6,68-69).
Dr. Andreas J. Köstenberger ist Theologe bei Fellowship Raleigh und Mitbegründer von Biblical Foundations. Außerdem ist er Autor mehrerer Bücher.
© Ligonier Ministries @ Tabletalk Magazine. Die Wiedergabe erfolgte mit freundlicher Genehmigung.