Einsichtig Leben mit Gott

Was Gott von dir fordert: Einsichtig leben mit Gott

Spurgeon berichtet in einer seiner Predigten von einem Mönch, der besonders demütig erscheinen wollte. Er stellte sich vor der gesamten Klostergemeinde auf und sprach: „Brüder, ich gebe zu, dass ich der größte aller Sünder bin. Ich habe alle Gebote Gottes gebrochen. Nicht eines habe ich gehalten. Ich schäme mich!“

Da ergriff ein anderer Mönch das Wort und sagte: „Warum erzählst du uns das? Das wussten wir alle doch schon lange.“ Der „demütige“ Mönch erschrak. Wutentbrannt und mit hochrotem Kopf ging er auf den anderen zu, schlug ihm ins Gesicht und sprach: „Nimm das sofort zurück! Was habe ich dir getan, dass du mich vor allen so demütigst?“

Eine lustige Geschichte. Wir lachen vielleicht über den Mönch und seine falsche, zur Schau gestellte Demut. Aber ganz ehrlich: Geht es uns nicht manchmal ähnlich? Es ist relativ leicht, eine Frömmigkeit an den Tag zu legen, bei der wir selbst die Regeln und das Ausmaß definieren.

Ganz anders sieht es aber aus, wenn wir innehalten und uns wirklich aufrichtig fragen: Was fordert Gott eigentlich von mir? Und bin ich noch auf dem Weg, der Gott gefällt? Passen meine Prinzipien in meinem Leben als Christ noch zu dem Maßstab, den Gott fordert? Oder ist es vielleicht noch nie so gewesen?

Und hier rede ich nicht von der Art und Weise, wie man Christ wird. Es ist keine Frage, dass wir allein aus Gottes Gnade heraus errettet werden, durch das Vertrauen auf Gottes Verheißungen und daran, dass sie in Jesus Christus ihre Erfüllung finden – in seinem Opfertod, seiner Auferstehung und bei seiner Wiederkunft am Ende der Zeiten!

Nein, hier geht es also nicht um die Art, wie ich errettet werde, sondern wie ich als Christ lebe. Welche Lebensmaxime für mich, der ich in Jesus „meine Gerechtigkeit, Heiligung und Erlösung“ (1Kor 1,30) gefunden habe, an erster Stelle stehen sollten!

Und da ist uns Micha 6,8 eine große Hilfe. Denn in diesem einen Vers finden wir eine sehr kurze, aber umfassende Aussage darüber, was Gott von uns fordert.

„Er hat dir mitgeteilt, Mensch, was gut ist. Und was fordert der HERR von dir anderes, als Recht zu üben und Güte zu lieben und einsichtig zu gehen mit deinem Gott?“

Nun könnte jemand einwenden, dass diese Stelle doch im Alten Testament steht, und uns das Neue Testament doch sehr viele wertvolle Aussagen über die Art der Nachfolge und des christlichen Lebens sagt. Der Einwand ist berechtigt. Allerdings spricht Folgendes dafür, dass dieser Vers auch für uns heute eine wichtige Lebensgrundlage bildet:

1. Die Empfänger der Aussage haben sich nicht geändert

Micha beginnt seine Aussage in Micha 6,8 mit den Worten: „Er hat dir mitgeteilt, Mensch (wörtlich. „o Vergänglicher“), was gut ist und was Gott von dir fordert.“

Micha spricht hiermit nicht nur eine bestimmte Gruppe an – wie beispielsweise die korrupten, lieblosen und götzendienerischen Priester Israels, sondern er richtet sich auch an die anderen Gruppen und Völker. In erster Linie hat Micha, als Prophet Gottes, natürlich das Haus Israel und in vorderster Reihe die geistlichen Leiter vor Augen. Micha tut dasselbe, was Jesus auch in Matthäus 23,1 ff. tat, als Er zu dem gesamten Volk und den Jüngern sagte: „Die Schriftgelehrten und Pharisäer sitzen auf dem Stuhl des Mose … und sie binden schwere und unerträgliche Lasten den Menschen auf die Schultern, die sie selbst mit keinem Finger anrühren.“

Im Grunde ist es kein Problem einer einzelnen Gruppe, sondern ein menschliches Problem, nur in unterschiedlicher Gestalt – bei den einen ist es offensichtliche Gottlosigkeit hinter zur Schau getragener Frömmigkeit. Doch im Kern steckt hinter alldem Hochmut, Selbstverliebtheit, Arroganz und Lieblosigkeit (vgl. Mt 23,11 ff.; Mi 2,1-11).

Und diese Beschreibung finden wir bis heute – leider eben nicht nur außerhalb der „frommen Kreise“, sondern oftmals auch mittendrin. Wir Christen sind schnell dabei, andere zu verurteilen. Und es geht uns oft so wie dem Mönch in Spurgeons Geschichte: es fällt uns nicht schwer, von unserem Versagen zu reden, solange es uns nicht schadet. Wenn aber andere uns etwas vorwerfen, ertragen wir es nicht. Es ist leichter, sich selbst eine Schuld einzugestehen, als von Schuld überführt zu werden.

2. Gott hat sich nicht geändert

Wenn Gott durch seinen Propheten allen Menschen deutlich macht, was „gut ist und was er von uns fordert“, dann ändert sich dies nicht.

Im Laufe der Heilsgeschichte gibt es Aspekte, wie Bündnisse und Bundeszeichen, die Gott einsetzt und absetzt, es sind Dinge, die sich ändern, aber sein Wesen, Er selbst, ändert sich nie.

In Micha 6,8 drückt Gott drei ethische und moralische Aspekte aus, die sich in der gesamten Bibel immer wiederholen. Micha reduziert nicht die Zehn Gebote auf drei, er fügt auch keine neuen hinzu, sondern er soll deutlich machen, was im Kern der Gebote, Satzungen und Verordnungen eigentlich zählt.

Ich möchte mich auf den dritten Teil konzentrieren: „Wandle demütig mit deinem Gott“, so übersetzt es die alte Lutherbibel. Allerdings ist der Gebrauch des Wortes „demütig“ hier nur bedingt hilfreich. Wir stoßen in der Bibel sehr häufig auf das Konzept der Demut in dem Sinne, dass wir gering von uns denken sollen. In den Psalmen und Sprüchen sind die Hochmütigen zum Beispiel diejenigen, die glauben, sie könnten alles, dürften sich alles erlauben und würden mit allem ungeschoren davonkommen. Sie lügen, sind frech und eingebildet (vgl. Ps 31,19; Spr 8,13 u.a.).

Wenn wir aber Michas Rede im Wortlaut gehört und verstanden hätten, dann wäre uns aufgefallen, dass er ein Wort gebrauchte, das nur noch ein weiteres Mal in der Bibel vorkommt, und zwar in Sprüche 11,2. Dort heißt es: „Auf Übermut folgt Schande und bei den Einsichtigen ist Weisheit.“ Demütige Einsicht im Gegensatz zu Übermut ist hier also das Stichwort.

Einsichtig mit Gott leben

Die Demut, die Gott fordert, ist also ein einsichtiges, achtsames Leben in der Verantwortung vor Gott und mit Gott. Es ist nicht nur eine Demut, die gering von sich selbst denkt – also nicht einfach negativ -, sondern es ist vielmehr etwas Positives, und zwar in dem vollen Bewusstsein zu leben, wer Gott ist, was Er liebt und wie Er handelt. Dass Er beispielsweise die Gerechtigkeit liebt und das Böse hasst, dass Er „den Demütigen beachtet aber den Hochmütigen schon von Weitem erkennt“ (Ps 138,6).

In der Vorbereitung auf diesen Artikel habe ich in einem Theologischen Handwörterbuch einen Satz gefunden, den ich sehr hilfreich fand. Dort stand, dass es hier um „einen Wandel mit Gott [geht], der einsichtsvoll die Zuwendungen Gottes erkennt und die Folgerungen, die sich daraus für das eigene Verhalten, auch gegenüber anderen Menschen ergeben, bejaht“.

Treffender kann man es, glaube ich, nicht formulieren. Der Großteil des Volkes Israel hatte das Problem, dass es sich Gottes Handeln und seiner Zuwendungen nicht bewusst war – und das nicht nur zu Michas Zeiten, sondern fortwährend. Und selbst dort, wo sie Gottes Hilfe mit eigenen Augen sahen, veränderte diese Erfahrung sie kein bisschen. Psalm 107 liefert uns da einen sehr ernüchternden Bericht. Und natürlich drückte sich dies auch in ihrem Verhalten gegenüber anderen Menschen aus. Die Verbrechen, die Micha seinen Zeitgenossen vorwarf, waren nichts Neues. Er nennt sie „die Verbrechen Jakobs und die Sünden Israels“ (vgl. 1,5; 3,8), weil sie das Volk seit jeher auszeichneten. Sie sollten ein Licht für alle Nationen sein, um auf Gott hinzuweisen, doch sie taten das genaue Gegenteil.

Und dennoch hielt Gott an seinem Bund mit ihnen fest und bestätigte seine Verheißung, dass aus ihrer Mitte der Erlöser kommen würde, der allen Völkern der Erde Frieden und Hoffnung bringen würde (vgl. Mi 4,1-8; 5,1-5). Es ist die große Zusage, die Gott Abraham gab, schon in dem Wissen, welche Irrwege das Volk gehen würde (vgl. 1Mo 15). Letzten Endes würde Gott selbst zum Licht für alle werden, die einsichtig sind und auf Ihn hoffen – in Israel und allen Nationen (vgl. Mi 7,8-12).

Ist an uns erkennbar, dass wir Gottes gnädige Zuwendungen erkannt haben und gehen wir entsprechend gnädig mit anderen Menschen um oder nehmen wir Gottes Gnade in Anspruch, sind aber hart oder unversöhnlich gegen andere, weil sie nicht so sind, wie wir es gerne hätten – seien es Christen, Nichtchristen oder vielleicht sogar Menschen, die uns hassen oder uns verletzt haben?

In seinem Buch „Geistliches Leben“ schreibt Francis Schaeffer sehr passend:

„Der Auftrag der Christen ist es, an ihrem jeweiligen geschichtlichen Ort zu zeigen, dass es die übernatürliche, die normalerweise unsichtbare Welt wirklich gibt, und darüber hinaus zu zeigen, dass Gott existiert … Christen sollen Gottes Wesen bezeugen .. Wenn ich in einer wirklichen Beziehung zum dreieinigen Gott lebe, werden meine Beziehungen zu anderen Menschen in gewisser Weise wichtiger, weil ich dann den wirklichen Wert des Menschen sehe, zugleich aber auch unwichtiger, weil ich in diesen Beziehungen nicht mehr Gott spielen muss. Nun kann ich zu einem Menschen hingehen und ihm sagen, dass es mir leid tut, wenn ich ihm etwas angetan habe, ohne damit den Mittelpunkt meines Universums zu zerschlagen, weil ich nicht mehr dieser Mittelpunkt bin, sondern Gott.“ (S.77, 162)

Schaeffer hat verstanden, was es heißt, einsichtsvoll und achtsam den Lebensweg mit Gott zu gehen, sodass es sich auf unser Verhalten, insbesondere im Umgang mit anderen Menschen auswirkt. Leider sind wir Christen noch nicht perfekt, und wir sollten auch nicht so tun als ob. Leider wissen wir nicht alles, und wir wissen auch nicht alles besser. Das müssen wir erkennen und in dieser Erkenntnis auch achtsam reden und handeln. Erst denken, dann reden. Die Sprüche Salomos sind uns hier von Gott als Quelle göttlicher Weisheit eine große Hilfe.

Allerdings muss unsere demütige Erkenntnis unbedingt mit Gott verbunden sein – mit dem, was wir in Ihm als Person und in Seinem Zuwendungen haben. Sonst bleibt es bei humanistischer Freundlichkeit, die niemals die große Freude und Hoffnung widerspiegelt, die unsere Welt so sehr sucht und benötigt. Wie sonst soll die Welt erfahren, dass es gut, richtig und möglich ist, seine Feinde zu lieben?

Wie sonst sollte sie von von wahrer Versöhnung mit Gott und dem Nächsten wissen, wenn wir Christen nicht dem Beispiel unseres Königs und Retters folgen, der uns geliebt und sich selbst für uns geopfert hat, als wir noch seine Feinde waren?

Mir gefällt, was James M. Boice im Gespräch mit einem jungen, frustrierten Theologiestudenten sagte:

„Deine nicht-christlichen Freunde wollen ganz sicher nicht, dass du sie dazu nötigst so zu werden wie du, aber sie erwarten ganz sicher von dir, dass du das bist, was du zu sein behauptest. Die Welt erwartet mehr von uns, als uns bewusst ist.“ (The Minor Prophets, Vol.2, S.355)

Die Welt braucht uns Christen – und zwar nicht deshalb, weil wir die Guten wären, sondern weil wir den einzig Guten kennen, den Einen, der allein der Welt Hoffnung, Sinn und Leben geben kann.

Unser großer Gott und Vater, gib uns die Gnade, dass wir an deiner Hand in Demut, Einsicht und Achtsamkeit deinen Weg gehen, damit Menschen durch unser Zeugnis von deiner Güte, Gerechtigkeit und Liebe erfahren, die wir so dringend brauchen und die du durch deinen Sohn bewiesen hast. Amen!


© Benjamin Schmidt und Herold-Mission.

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