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Von Gott enttäuscht?

Kürzlich wurde mir die Frage gestellt: „Wie hilft man einem Menschen, der von Gott enttäuscht oder vielleicht sogar wütend auf Ihn ist, weil Gott gewisse Dinge im Leben dieser Person hat geschehen lassen?“

Ich möchte hierbei auf Hiob verweisen, der in ähnlichen (jedoch im Vergleich zu den meisten von uns weit größeren) Problemen in Bezug auf Gottes Handeln ringen musste. Gottes Antwort auf Hiobs Ringen lautete: „Wo warst du, als ich die Erde gründete? Sag’s mir, wenn du so klug bist! … Wer da meint, alles besser zu wissen, sollte mit dem Allmächtigen ins Gericht gehen!“ (Hiob 38,4; 40,2).

Diese (auf den ersten Blick knallharte) Antwort half Hiob, zu erkennen, dass seine Sicht auf die schrecklichen Ereignisse zu eingeschränkt war, um sie richtig zu beurteilen. Als Hiob dies erkannte, gab er zu: „Siehe, ich bin zu gering, was soll ich dir antworten? Ich will meine Hand auf meinen Mund legen. Einmal habe ich geredet und will es nicht wieder tun“ (Hiob 40,4-5).

Kommen wir auf die Frage zurück: Wie hilft man einem Menschen, der aufgrund gewisser Ereignisse von Gott enttäuscht oder vielleicht sogar wütend auf ihn ist?

Manche mögen vielleicht meinen, ein Christ dürfe niemals von Gott enttäuscht oder sogar wütend auf Ihn sein. Aus meiner Erfahrung als Seelsorger weiß ich aber, dass es nicht wenigen Christen so geht, sie aber nicht den Mut haben, es sich oder anderen einzugestehen. Ich würde niemandem raten, seiner Enttäuschung oder Wut über Gott unkontrolliert Luft zu machen, wie man dies vielleicht in Bezug auf einen Menschen tun würde. Dennoch wäre es sowohl für uns persönlich wie auch für unsere Gemeinden gut, wenn niedergeschlagene und enttäuschte Christen die Möglichkeit bekämen, mit anderen Christen über ihre Situation zu sprechen. 

Dass ein Christ von Gott enttäuscht ist, sagt zuerst einmal etwas Gutes über sein Gottesbild aus. Wenn er sich fragt: „Warum hat Gott das zugelassen?“, dann beweist dies, dass er von der Allmacht Gottes überzeugt ist, denn er weiß, dass Gott die Macht hat, es zu verhindern. 

Ich kenne das Gefühl, wenn das ganze Leben im Chaos versinkt. Im April 1988, vier Jahre, nachdem ich Christ wurde, kam ich von der Arbeit nach Hause und musste feststellen, dass meine Frau mich ohne jede Vorwarnung, nach 9 Jahren Ehe, verlassen und mit unseren zwei Söhnen zu einem anderen Mann gezogen war. Sie kam nie wieder zurück. Heute, 30 Jahre später, ist der Schmerz darüber nicht geringer geworden. Aber ich danke Gott, dass ich meinen Trost damals in Seinem Wort suchte und nicht in den Drogen, die mich all die Jahre vor meiner Bekehrung bestimmt hatten. Damals wurde Hiob mein treuester Begleiter. 

„Warum gibt Er dem Mühsehligen Licht udn Leben den Verbitterten, denen, die auf den Tod warten, und er kommt nicht, … Denn das Schreckliche, das ich befürchtet habe, ist über mich gekommen, und wovor ich mich am meisten fürchtete, das kam über mich. Ich hatte kaum Ruhe und mich kaum erholt, da kam schon ein neuer Sturm über mich!“ (Hiob 3,20-26).

Das, wovor Hiob sich am meisten fürchtete, kam über ihn. Ich weiß nicht, ob Du so etwas schon einmal erlebt hast. Ich habe es erlebt! Menschen, die zutiefst von Gott enttäuscht sind, können häufig nur von denen verstanden werden, die selbst ähnliches erlebt haben. Das bedeutet nicht, dass nur „Leidensgenossen“ einander helfen könnten. Aber wir sollten uns hüten, zu glauben, wir hätten den vollen Durchblick. Denn wer von uns könnte Gottes Wege durchschauen? Jeder von uns ist herausgefordert, mit Umständen umzugehen, die unseren Horizont weit übersteigen. Deshalb sind wir aufgefordert, blind auf Gott zu vertrauen, der allein den vollen Durchblick hat. 

Ein Ideal aber keine Schablone

Gottes Antwort an Hiob war die bestmögliche, weil Gott selbst der Beste ist. Er allein wusste, was Hiob wirklich brauchte, um aus seiner Krise herauszukommen. Allerdings bedeutet das nicht, dass diese Art Zurechtweisung für jeden Problemfall die beste Methode ist. Wir wissen – ganz im Gegensatz zu Gott – nicht, was der beste Rat an jemanden ist und wann die beste Zeit ist, diesen Rat zu erteilen. Ich erinnere mich daran, dass mir jemand – als ich mich in einer schweren Zeit befand – Römer 8,28 zum Trost zusprechen wollte.

Dieser Abschnitt enthält eine der schönsten Zusagen der ganzen Bibel. Voller Trost für niedergeschlagene Christen. Doch als mein Freund mir diesen Abschnitt zusprach, war ich innerlich nicht bereit, und meine Antwort auf Gottes großartige Verheißung, dass denen „alle Dinge zum Besten dienen, die Ihn lieben“, lautete: „Wenn das so ist, dann soll Er mir sofort meine Familie zurückgeben. Mir ist völlig egal, was Gott sonst in meinem Leben bewirken will.“ Was mein Freund versuchte, mir zu sagen, war gut und richtig, aber mein Herz war nicht bereit, es anzunehmen. 

Die Geschichte Hiobs ist keine Schablone dafür, wie man Menschen in schwierigen Situationen beisteht. Sie ist zuallererst ein Bericht von einem einzigartigen Erlebnis eines Mannes mit seinem Schöpfer. Hiobs Geschichte zeigt: Gott ist uns nichts schuldig. Das Neue Testament zeigt: Er hat uns in Christus bereits das größte Maß seiner Gnade erwiesen. Diese Tatsache sollte uns demütigen und unsere inneren Wogen glätten; Aber Hiob war bereits „demütig genug“, um Gottes Zurechtweisung anzunehmen – die mit den harten Worten beginnt: „Und der HERR antwortete dem Hiob aus dem Sturm und sprach: Wer ist’s, der den Ratschluss verdunkelt mit Worten ohne Verstand? Gürte deine Lenden wie ein Mann! Ich will dich fragen, lehre mich“ (Hiob 38,1-3). Wenn die Person, die wir von ihrer Enttäuschung gegenüber Gott befreien wollen, noch nicht an dem Punkt angelangt ist, an dem Hiob in Kapitel 38 war; wenn ihre Enttäuschung mit einem Widerstand gegen Gott verbunden ist, dann sollten wir uns mit Zurechtweisungen zurückhalten. Die Art und Weise, wie wir Seelsorge betreiben, ist von der Herzenshaltung der betreffenden Person abhängig. Gott wusste, dass Hiob bereit war, Zurechtweisung anzunehmen. 

Die Bibel sagt uns, dass Gott uns zur Buße führt (vgl. 2. Timotheus 2,25). Im weiteren Verlauf des Buches Hiob sehen wir, wie Gott an Hiob wirkte. Aber jeder Mensch ist anders, und so benötigt auch jeder unterschiedlichen Beistand. Die Bibel fordert uns auf, einander zu ertragen und die Lasten des anderen mitzutragen (vgl. Epheser 4,2; Galater 6,2). Manche brauchen Zurechtweisung, andere brauchen ein offenes Ohr oder eine Erinnerung an Gottes Verheißungen, wie wir sie in Römer 8 finden.

Vor allem: sei geduldig

Wenn wir also einem Menschen helfen wollen, der von Gott enttäuscht oder  vielleicht sogar wütend auf Gott ist, brauchen wir vor allem Geduld (vgl. 1. Thessalonicher 5,14). Wir selbst können kein Herz verändern. Gott aber kann es! Wir müssen daher treu und geduldig säen und bewässern, in dem Vertrauen, dass Gott das Wachstum schenkt (vgl. 2. Korinther 3,5-7). Falls Du gerade einem Bruder oder einer Schwester aus einer geistlichen Krise helfen möchtest, dann säe geduldig weiter. Vertraue darauf, dass Gott deinen Freund aus dem dunklen Tal herausführen wird. Vielleicht tut Er es durch Dich, vielleicht aber auch auf eine andere Weise. 

„Und der HERR wandte das Geschick Hiobs, als er für seine Freunde bat. Und der HERR gab Hiob doppelt so viel, wie er gehabt hatte“ (Hiob 42,10).

Wenn die Person, um die Du Dich kümmerst, ein Kind Gottes ist, dann weiß sie (zumindest tief im Innersten des Herzens), dass Gott gut ist, dass Er auch im Leid bei uns ist, und dass Er einen guten Plan für jedes seiner Kinder hat. Nachdem meine Frau mich verlassen hatte, waren mir diese Dinge zwar bewusst, aber für mich kaum greifbar. Es gab nichts, das ich an meiner Situation hätte ändern können. Ich musste einfach durchhalten – all das Klagen, Beten und Weinen änderte nichts an den äußeren Umständen. Zuletzt schleuderte ich meine ganze Wut Gott entgegen. Ich empfehle niemanden dies zu tun, aber ich tat es. In dieser Zeit konnte niemand etwas für mich tun, bloß mir zur Seite zu stehen und für mich zu beten. Die Situation war unveränderlich. Ich steckte fest. 

All das ist nun Jahrzehnte her und inzwischen hat Gott meinen damaligen Zerbruch dazu gebraucht, eine Seelsorgearbeit ins Leben zu rufen. Durch diese Arbeit wollen wir Menschen helfen, die sich in ähnlichen Situationen befinden. Wenn ich mir heute bewusst mache, was Gott schon jetzt aus all dem gemacht hat, war es jeden Schmerz und jede Träne wert.

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Rick Thomas

Rick Thomas ist Pastor und seit fast 20 Jahren als Seelsorger tätig. Er bezeichnet es als seine Lebensaufgabe, „die lebensverändernde Botschaft des Evangeliums zur Freude und Verherrlichung Gottes“ anderen Menschen weiterzugeben.

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