Dankbarkeit trotz Kummer
Schicksalsschläge treffen uns hart. Können wir Dankbarkeit trotz Kummer über Krankheit oder zerschlagene Träume empfinden?
Dankbar zu sein bedeutet unter anderem, den Wert erhaltener Leistungen oder Dinge wertzuschätzen. Aber wie kann jemand dankbar sein, wenn ihm alles genommen wird? Wenn eine Krankheit, eine Behinderung, der Verrat tiefster Freundschaften oder eine andere Form von unabänderlichem Verlust in unser Leben einschlägt? Woher nehmen wir die Dankbarkeit, wenn die dunkle Seite der Vorsehung uns jede Freude auf die Zukunft raubt? Das war die Misere Hiobs. Als er buchstäblich kaum mehr als nur noch seinen Lebensatem hatte, wünschte er sich nie geboren zu sein.
Ich kenne das. Ich erinnere mich an Zeiten, in denen meine liebe Frau und ich uns laut und gegenseitig fragten: „Wäre es nicht so viel leichter, einfach zu sterben und bei Christus zu sein, anstatt weiterhin diesen Kummer und dieses Leid zu erleben?“
Mensch zu sein bedeutet, dass wir uns sowohl an die Vergangenheit erinnern können als auch dass wir hoffnungsvoll in die Zukunft schauen. Aber wenn Erinnerungen nur Schmerz verursachen und zukünftige Sehnsüchte (in diesem Leben) nicht mehr erfüllt werden können, dann ist Dankbarkeit eine schwierige, aber auch wertvolle Sache, die es zu pflegen gilt. Wie eine zerbrechliche Pflanze, die nur eine kleine Wurzel hat, müssen wir die Dankbarkeit beschützen, sie nähren und bewässern. Jemand hat mal gesagt: „Gott verachtet nicht die kleinen Anfänge.“ Und die Schrift erinnert uns daran: „Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen. In Treue bringt er das Recht hinaus“ (Jes 42,3). Das ist ein ermutigender Gedanke.
Während ich dies schreibe, wird mir bewusst, dass vor ziemlich genau achtunddreißig Jahren viele Träume für meine Frau und mich starben. Bei unserer ältesten Tochter, Jessica, wurde eine schwerwiegende Behinderung aufgrund einer Chromosomenanomalie diagnostiziert. Ihr ganzes Leben lang würde sie ein Pflegefall sein. Sie würde niemals laufen, sprechen oder (zumindest in den Augen der Welt) ein sinnvolles Leben führen können. Vorbei war die Aussicht, sie zu einer jungen Frau heranwachsen zu sehen, sie zum Altar zu führen und im Alter ihre Kinder auf meinem Schoß sitzen zu lassen. Die Pflege, die ihr Leben erforderte schränkte unser Leben weitestgehend ein.
Während meiner Recherchen zur Krankheit meiner Tochter stieß ich früh auf eine treffende Formulierung, die unser Leben zu dieser Zeit recht gut beschrieb: chronische Trauer. Lass das mal für eine Weile sinken. Mit jedem Meilenstein, den wir bei anderen Eltern mit ihren Kindern beobachteten, wuchs unsere Trauer, dass wir dies mit unserem geliebten Kind nicht auch erleben würden.
J.R.R. Tolkien hilft uns diesen Punkt zu verstehen. In seinem Aufsatz „Über Märchen“ sagt er über die Hoffnung auf ein glückliches Ende (in Geschichten):
„Sie verleugnet nicht das Dasein der ‚Dyskatastrophe‘, des Leides und Misslingens, denn deren Möglichkeit ist die Voraussetzung für die Freude der Erlösung; sie verleugnet (dem Augenschein zum Trotz, wenn man so will) die endgültige, allumfassende Niederlage, und insofern ist sie Evangelium, gute Botschaft, und gewährt einen kurzen Schimmer der Freude, der Freude hinter der Mauer der Welt, durchdringend wie das Leid.“ (S. 126)
In einem Brief an seinen Sohn Christopher aus dem Jahr 1944 führt er diesen Gedanken weiter aus und sagt:
„Und abschließend sagte ich, die Auferstehung sei die größtmögliche „Eukatastrophe“ in dem größten aller Märchen – und sie wecke ebendieses Gefühl: die christliche Freude, die Tränen hervorruft, weil sie qualitativ wie das Leid ist, weil sie von jenen Orten herkommt, wo Freude und Leid eins sind, versöhnt, so wie Selbstsucht und Altruismus sich in der Liebe verlieren.“ (Briefe, S. 135)
Ist es dir aufgefallen? Freude und Trauer sind so eng miteinander verknüpft, dass sie beide Tränen verursachen. Und in Gottes großer Geschichte vermitteln uns die tiefsten Verluste die Aussicht auf die tiefste Freude und Zufriedenheit. In den Augen der Welt ergibt das keinen Sinn, aber es entspricht dem Wesen des Evangeliums.
Es gibt ein wundervolles Gedicht mit dem Titel „Welcome to Holland“ von Emily Kingsley. Als Elternteil eines Kindes mit einer Behinderung sagt sie, sei der Verlust in etwa so, als würde man eine Reise nach Italien planen, um die Wunder der Architektur, der Kunst und der südlichen Renaissance zu sehen, aber wenn man aus dem Flugzeug steigt, ist man in Holland. Die Winde von der Nordsee her sind brutal; die Farben gedämpft; die Kunst, Kultur und Sprache nicht das, was du erwartet hast. Doch wenn man will, findet man auch Schönheit in Tulpen und Windmühlen. Sie schlussfolgert: „Wenn du dein Leben damit verbringst, über die Tatsache zu trauern, dass du nicht nach Italien gekommen bist, wirst du womöglich niemals frei sein, um dich an den besonderen und liebenswerten Dingen in Holland zu erfreuen.“ Sei dankbar für die kleinen Segnungen. Nähre sie, damit sie dir Freude bringen.
Joni Eareckson Tada erinnert uns daran, dass „Gott manchmal Dinge erlaubt, die er hasst, um etwas zu erreichen, das er liebt“, selbst wenn es sich dabei um unsere Heiligung und Errettung handelt. Darin liegt eine tiefe Wahrheit, die unser Verständnis von Dankbarkeit auch in Zeiten des Verlustes prägt.
© Ligonier Ministries @ Tabletalk Magazine. Die Wiedergabe erfolgte mit freundlicher Genehmigung.