rein und unrein

Rein und unrein

Rein und unrein – dieses Wortpaar jagt dem durchschnittlichen Bibelleser einen Schauer über den Rücken. Es beschwört den Text aus 3. Mose Kapitel 11-15 herauf – lange Listen mit der Aufzählung reiner und unreiner Tiere, mit ausführlichen Abhandlungen über Hautkrankheiten und noch ausführlicheren Beschreibungen körperlicher Ausscheidungen.

Mit diesen Abschnitten weiß der durchschnittliche Bibelleser nichts recht anzufangen, zumal sie scheinbar keinerlei Anwendungen für das christliche Leben in unserer Zeit haben. Das ist auch der Grund, weshalb sie in der persönlichen Bibellese häufig einfach übersprungen werden. Wer hat nicht schon, sobald er die Überschriften dieser betreffenden Abschnitte sah, schnell weitergeblättert? Dabei belässt man es und meint, sich nicht weiter damit auseinandersetzen zu müssen.

Allerdings ist diese Herangehensweise nicht unproblematisch. Denn zum einen sind auch diese Kapitel Teil von Gottes Wort; sie machen innerhalb des 3. Buches Mose einen wesentlichen Teil der Anweisungen an das Volk Israel aus. Zweitens sind sie Teil des mosaischen Gesetzes, das das Leben von Gottes Volk innerhalb des alten Bundes regelte; deshalb hatte es eine große Relevanz für Israel und ist somit auch nach wie vor für die Gemeinde von Bedeutung.

Um die Bedeutung dieser Abschnitte zu verstehen, müssen wir wissen, dass sie zwei Aspekte enthalten: einen praktischen und einen theologischen. Der praktische Aspekt besteht darin, dass diese Vorschriften Teil von Gottes Anweisungen an sein Volk waren, um es von den umliegenden Völkern zu unterscheiden. In 5.Mose 4,6 heißt es:

„Deshalb bewahrt und tut sie! Denn das ist eure Weisheit und eure Einsicht in den Augen der Völker, die all diese Ordnungen hören. Und sie werden sagen: Ein wahrhaft weises und verständiges Volk ist diese große Nation!“

Und der theologische Aspekt dahinter ist der, dass die Menschen durch diese Wahrheiten etwas über sich selbst, über Gott und über ihre Beziehung zu Gott lernten.

So weit, so gut! Aber wie sollen wir diese Kapitel verstehen? Hierzu hat Gott hat uns einige Hinweise gegeben, die wir in dem unmittelbaren Kontext der Abschnitte finden, anhand derer wir die jeweilige theologische Bedeutung für uns heute herausfinden können.

Einer dieser Hinweise finden wir in 3.Mose 10,3. Dort sagt der HERR: „Bei denen, die mir nahen, will ich geheiligt und vor dem ganzen Volk will ich verherrlicht werden.“ Mit anderen Worten: Wenn wir in unserem Leben mit Gott zu tun haben, muss uns bewusst sein, dass Gott heilig ist und wir zu seiner Ehre leben sollen!

Ein zweiter Hinweis steht in 3.Mose 10,10-11. An dieser Stelle sagt Gott zu Aaron:

„Ihr sollt unterscheiden zwischen dem Heiligen und dem Unheiligen, zwischen dem Reinen und dem Unreinen, und ihr sollt die Söhne Israel all die Ordnungen lehren, die der HERR durch Mose zu euch geredet hat.“

Hier erfahren wir, dass die Verantwortung der Priester auch darin bestand, das Volk darin anzuleiten, als Gottes „heilige Nation“ zu leben (vgl. 2Mo 19,6). Hierzu gehörte es, ihnen bei der Unterscheidung zwischen heilig und profan, rein und unrein zu helfen.

Das ganze Volk Israel galt vor Gott als heilig – und zwar in dem Sinne, dass sie „von Gott und für Gott ausgesondert waren“, um für Ihn und zu seiner Ehre zu leben. Allerdings durften sie sich Ihm nur dann nähern, wenn sie sich vorher gereinigt hatten; ein Zustand, der schier unmöglich aufrechtzuerhalten war, denn fast alles konnte sie zu jeder Zeit wieder unrein machen – zum Beispiel, wenn sie einen Leichnam berührten, das falsche aßen, eine Frau ihre Periode hatte oder ein Mann an einer Geschlechtskrankheit litt. Selbst eine Hautkrankheit oder Schimmelbefall im Haus führten zu kultureller Unreinheit.

Einige dieser Unreinheiten waren natürlichen Ursprungs und erforderten lediglich bestimmte Waschungen, damit die Reinheit schnell wieder hergestellt war. Andere aber, wie Blutungen über die normale Menstruationszeit hinaus oder bestimmte Hautkrankheiten erforderten zusätzlich zu der Waschung noch Reinigungsopfer. Auf diese Weise bewahrte das Volk seine Reinheit vor Gott, oder besser gesagt, sie stellten diese Reinheit regelmäßig wieder her.

Zweifellos hatten diese praktischen Anforderungen auch andere positive Nebeneffekte, wie eine gewisse Gesundheit durch gute Hygiene. Aber diese praktischen Nebeneffekte blieben eben nur Nebeneffekte und waren nicht der Hauptzweck der Gesetze. 

Was die theologische Bedeutung dieser Gesetze betrifft, so gibt uns Jesus selbst einen Hinweis. In Markus 7,14-23 verdeutlicht Er seinen Zuhörern, dass nicht das einen Menschen verunreinigt, was in ihn hineingeht, sondern was in dem Herzen des Menschen geschieht – sündige Gedanken, sündige Wünsche und böse Neigungen.

Mit dieser Aussage zeigt Jesus den Menschen, dass die Reinheitsgesetze eine Illustration für den sündigen Zustand des Menschen waren. Die Menschen sollten durch sie erkennen, dass ihr ganzes Leben von Natur aus verunreinigt und für die Gegenwart Gottes unakzeptabel war. Die Unreinheit selbst war keine Sünde, sondern vielmehr ein Bild für die Sünde. Es war fast unmöglich, im antiken Israel auch nur einen Tag lang völlig kultisch rein zu bleiben. Dadurch zeigt Gott seinem Volk und uns, wie stark der Einfluss der Sünde ist. Es gibt für uns kein Entkommen. Die Hoffnung der Israeliten bestand nicht darin, Unreinheit zu vermeiden, sondern von ihr befreit zu werden. Wie auch der Autor des Hebräerbriefes sagt, diente das Blut von Stieren und Böcken nur zur Heiligung des Fleisches (oder seiner Reinigung – womit er auf die Reinheitsvorschriften anspielt). Allein das Blut Jesu reinigt uns und unser Gewissen wirklich von Sünde, damit wir dem lebendigen Gott wahrhaftig dienen können (vgl. Hebr 9,13-14).

Wenn du also das nächste Mal bei deiner Bibellese in 3.Mose ankommst und versucht bist, die Kapitel 11-15 zu überspringen, dann widerstehe der Versuchung! Achte auf die Details und denke darüber nach, wie weitreichend die Sünde das Leben der Israeliten damals, aber auch unser tägliches Leben heute beeinflusst. Und dann danke Gott dafür, dass du nicht unter dem Schatten des Gesetzes lebst, mit all den Waschungen und Opfern, sondern freue dich darüber, dass du das leichte Joch Jesu tragen darfst, dessen Blut dein Gewissen von allen sündigen Werken gereinigt hat, damit du jetzt von ganzem Herzen dem lebendigen Gott dienen kannst.


Dr. Benjamin Shaw ist Dekan und Professor für Hebräisch und Altes Testament am Greenville Presbyterian Theological Seminary.

© Ligonier Ministries @ Tabletalk Magazine. Die Wiedergabe erfolgte mit freundlicher Genehmigung.

Ähnliche Beiträge