Zweifel und Gewissheit

Die Suche nach völliger Gewissheit der Errettung stellt seit jeher eine große Herausforderung für viele Gläubige dar. Obwohl sie ihren Glauben allein auf Christus gründen, empfinden sie dennoch Zweifel bezüglich ihrer Stellung vor Gott. Diese Spannung zwischen Zweifel und Gewissheit kann für die Gläubigen ein sehr lähmendes Gefühl sein.

Wir müssen zugeben, dass jeder Christ eine Glaubenskrise erleben kann. Selbst dem vollmächtigsten Prediger kann die Heilsgewissheit fehlen. John Owen bekannte einmal einem engen Freund seine eigenen Kämpfe in Bezug auf die Gewissheit, dass Gott ihm vergeben habe. Er sagte: „Ich habe Christus einige Jahre gepredigt, in denen ich nur wenig, wenn überhaupt, vertrauten Umgang mit Gott durch Christus erlebte.“ Obwohl Owen Christus verkündete, erlebte er nur wenig von Jesu Kraft und Freude in seinem eigenen Leben. Aber nach einer Weile, nachdem seine Seele, wie er sagte, „mit Schrecken und Dunkelheit geplagt“ worden war, berichtete Owen, wie sich die Dinge zu verändern begannen, als „Gott auf gnädige Weise meinen Geist durch eine machtvolle Anwendung von Psalm 130 erleichterte“.

Für von Zweifel geplagte Christen ist kaum eine Passagen der Bibel so hilfreich, wie der 130. Psalm. Charles Spurgeon bemerkt einmal, dass der Psalmist von „den Tiefen der Qual bis zu den Höhen der Gewissheit“ steigt. Der Psalm beschreibt die Erfahrung vieler Gläubiger, die mit Ungewissheit in Bezug auf ihre geistliche Stellung vor Gott zu kämpfen haben. Wir können mindestens vier Anwendungen aus diesem Text ableiten, die uns helfen können, vom Zweifel zur Gewissheit zu kommen.

1.) Wenn der Zweifel uns herunterzieht …

„Aus den Tiefen rufe ich zu dir, HERR. Herr, höre auf meine Stimme! Lass deine Ohren aufmerksam sein auf die Stimme meines Flehens!“(V. 1-2). 

Zweifel bezüglich der eigenen Stellung vor Gott kann selbst den erprobtesten Gläubigen in den Abgrund der Entmutigung versinken lassen. Diese Art des geistlichen Zweifels kann mehrere Ursachen aufweisen. Vielleicht wurde dein Gewissen beim Studieren der Schrift oder während einer Predigt auf eine bestimmte Sünde in deinem Leben aufmerksam gemacht. Vielleicht erlebst du Prüfungen, die an deiner Zuversicht in Gottes Allmacht rütteln. Es ist auch möglich, dass dein Zweifel das Ergebnis von Unglauben und einem Mangel an Vertrauen in Gottes Verheißungen ist. In Zeiten wie diesen müssen wir daran erinnert werden, dass der Herrscher des Himmels und der Erde Freude daran hat, sich herabzuneigen, um die Schreie seines Volkes zu hören. Seine Barmherzigkeit reicht bis in die tiefsten Tiefen. Daher lasst uns unsere Stimmen aus den Tiefen erheben, in dem Wissen, dass Er unsere Bitten hört.

2.) Wenn der Zweifel uns lähmt …

Wenn du, Jahwe, die Sünden anrechnest, wer wird dann vor dir bestehen können? Doch bei dir ist die Vergebung, damit man dich fürchte“ (V. 3-4). 

Die Einsicht, dass die Sünde in unseren Herzen wohnt, gepaart mit der Erkenntnis, was der Lohn und die zerstörende Konsequenz der Sünde ist, kann uns zur Verzweiflung bringen. Wenn Gott „unschuldige Hände und ein reines Herz“ verlangt, dann offenbart ein Blick auf unsere Hände und in unser Herz, dass niemand von uns das Recht hat, „an seiner heiligen Stätte“ zu stehen (vgl. Ps 24,3-4). Der einzige Weg, um auf den Berg des Herrn zu steigen, führt durch das Tor der Vergebung. Psalm 130 ist für den Psalmisten das, was für Paulus die Kapitel 7-8 des Römerbriefes sind. Vers 3 des Psalms fasst das erdrückende Gewicht zusammen, das wir aufgrund unserer Sündenschuld vor einem heiligen Gott empfinden. Vers 4 bringt die Freiheit zum Ausdruck, die wir haben dürfen, wenn wir uns Gott nahen – und zwar nicht aufgrund persönlicher Verdienste, sondern aufgrund der göttlichen Vergebung und der Gerechtigkeit in Christus. Nur die Gnade Gottes kann uns von der lähmenden Wirkung unserer Schuld befreien. 

„Zu entdecken, dass im Glauben göttliche Vergebung ist“, so Owen, „ist der größte Trost für eine durch Sünde niedergeschlagene Seele.“

3.) Wenn die Gewissheit auf sich warten lässt … 

„Ich hoffe auf den HERRN, meine Seele hofft, und auf sein Wort harre ich. Meine Seele harrt auf den Herrn, mehr als die Wächter auf den Morgen“(V. 5-6). 

Der Psalmist erkennt, dass seine Hoffnung nicht in ihm selbst ruht, sondern auf dem Wort Gottes. Die Wiederholung von „harrt“ und „Wächter“ unterstreichen die Notwendigkeit der wachsamen Geduld. Wir müssen aktiv auf Gottes Wort hoffen und geduldig auf Ihn warten, bis Er uns tröstet. Gewissheit stellt sich selten unmittelbar ein. Aber so, wie der Wächter die Morgensonne herbeisehnt, so erwarten wir den Herrn mit eifriger Erwartung.

4.) Die Hoffnung der Gewissheit.

Harre, Israel, auf den HERRN! Denn bei dem HERRN ist die Gnade, und viel Erlösung bei ihm. Ja, er wird Israel erlösen von allen seinen Sünden“ (V. 7-8). 

Unsere Hoffnung ist, dass Gott, der uns Verheißungen gegeben hat, ganz sicher zu denen kommen wird, die auf Ihn warten. Wenn Er erscheint, bringt Er unvergängliche Liebe und reiche Erlösung. Er wird kommen, um sein Volk von jeder einzelnen Verfehlung zu erlösen. Die Hoffnung in Gott verwandelte die Zweifel des Psalmisten in absolute Gewissheit. Zwar ist Gewissheit für den rettenden Glauben an Christus nicht unverzichtbar, aber sie ist dennoch wichtig für das Wohlergehen unseres Glaubens. Wie der Puritaner Thomas Brooks bemerkte, bedeutet Gottes Gnade zu besitzen, – und sich auch dessen gewiss zu sein – „den Himmel diesseits des Himmels“ zu erleben. Das Herrliche an der Gewissheit ist, dass sie die himmlischen Segnungen zu uns auf die Erde bringt, damit in Zweifel verstrickte Gotteskinder sie hier und jetzt genießen können.

John Tweeddale

Dr. John W. Tweeddale ist Dekan und Professor am Reformation Bible College in Florida.

Dieser Artikel erschien zuerst im TableTalk Magazin. Die Übersetzung und Wiedergabe erfolgte mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers. 

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