Tochter Zion
Tochter Zion, freue dich, jauchze laut, Jerusalem! Sieh, dein König kommt zur dir, ja, er kommt, der Friedefürst, Tochter Zion freue dich, jauchze laut, Jerusalem!
Hosianna, Davids Sohn! Sei gesegnet deinem Volk! Gründe nun dein ew’ges Reich, Hosianna in der Höh! Hosianna, Davids Sohn! Sei gesegnet deinem Volk!
Hosianna, Davids Sohn! Sei gegrüsset König mild! Ewig steht, dein Friedensthron, Du des ewgen Vaters Kind. Hosianna, Davids Sohn! Sei gegrüsset König Mild!
(Text: Friedrich Heinrich Ranke)
Tochter Zion, freue dich, jauchze laut, Jerusalem!“ Haben Sie bei diesen Worten auch immer die entsprechende Melodie im Ohr? Und verbinden Sie diese Melodie mit besinnlichen Adventsgottesdiensten, Kerzenschein, fröhlichen Gesichtern, Kindergesang in andächtiger Vorfreude? Dann geht es Ihnen so wie mir. Tochter Zion ist für mich schon seit Kindheitstagen ein Lied, das in mir weihnachtliche Stimmung aufkommen lässt.
Jetzt muss ich Sie leider darüber aufklären, dass diese andächtige Freude nicht immer das war, was Menschen mit der Melodie dieses Liedes verbanden. Denn ursprünglich war das Lied, dessen Text heute von Frieden, Freude und Jubel handelt, ein episches Gefechtslied über Krieg, Eroberung und Blutvergießen.
Der historische Kontext von Tochter Zion
Georg Friedrich Händel hatte die Melodie für eine musikalische Darstellung der Landnahme Israels unter Josua komponiert. Doch was eigentlich für die Bühne gedacht war, blieb nicht auf der Bühne. Denn die Art, wie Josua in Händels Lied als der erobernde Held besungen wurde, gefiel dem britischen Königshaus des 18. Jahrhunderts so gut, dass es sich das Stück aneignete und es eins zu eins als Siegeshymne der Schlacht von Culloden (16. April 1746) übernahm.
Die Schlacht wurde zwischen den verfeindeten britischen Adelshäusern Stuart und Cumberland geführt und war alles andere als ruhmreich. Der geschichtliche Hintergrund ist komplex und ein trauriger Beleg für die schrecklichen Auswirkungen der menschlichen Arroganz, des Neids und der Selbstsucht. Kurz gesagt ging es darum, dass die Familie Cumberland mit Georg II. von Hannover die Monarchie des britischen Königshauses innehatte, während Prinz Charles Stuart, der Enkelsohn des ehemaligen englischen Königs Jakob II. sie mit Gewalt zurückerobern wollte. Allerdings war Charles’ Milizarmee den königlichen Soldaten völlig unterlegen.
Der Kampf endete in einem Massaker. Nicht nur die Verwundeten und Kriegsgefangenen, sondern auch die Frauen und Kinder, die die Kampf am Rande beobachtet hatten, wurden im Auftrag des Königs erschlagen. Anschließend zog die königliche Armee plündernd, vergewaltigend und brandschatzend bis in die schottischen Highlands vor. Trotz seiner Gräueltaten wurde Cumberland zuhause als großer Held und Retter gefeiert, und das Lied „See, the Conqu’ring hero comes“ ihm zu Ehren gewidmet und bis heute in England gesungen.
Nur fünfzig Jahre nach diesen Ereignissen wurde Friedrich Heinrich Ranke in Deutschland geboren – ebenfalls in ein Leben voller politischer Konflikte. Ranke fand zum Glauben an Christus, studierte Theologie und wurde lutherischer Pfarrer. Im Jahr 1820, ein Jahr nach dem Ende der Deutschen Revolution, die bürgerkriegsähnliche Ausmaße genommen und viel Leid verursacht hatte, dichtete Ranke Händels Schlachtenlied um und machte es zu einem der bekanntesten Adventslieder im deutschsprachigen Raum.
Er ersetzte den ursprünglichen Text durch eine Verheißung aus Sacharja 9,9, wo von dem Kommen eines Königs die Rede ist, der anders sein würde als alle Könige dieser Welt. Anstatt durch Gewalt und Unterdrückung zu regieren, würde er Heil und ewigen Frieden für alle Völker bringen. Ranke wusste aus Erfahrung und aus Gottes Wort, dass die Welt niemals durch menschliche Vernunft oder kluge politische Koalitionen zu anhaltendem Frieden gelangen würde, sondern dass der Mensch auf Gottes Eingreifen angewiesen ist. Aber Ranke wusste auch: Gott hatte eingegriffen; und er würde es wieder tun!
Der kommende König
„Tochter Zion, freue dich! Jauchze laut, Jerusalem!“ (vgl. Sacharja 9,9).
Wer bei dieser „Tochter Zion“ an ein junges jüdisches Mädchen denkt, liegt falsch, denn damit ist die Stadt Jerusalem gemeint – ein Ort, den der Schöpfer und Gott der ganzen Welt auserwählt hatte, um dort im Tempel bei seinem Volk zu wohnen. Somit war es auch der Ort, an dem Anbetung und Sühnung von Sünden geschah. Und an diesem Ort geschieht nun ein weiterer, außergewöhnlicher Grund zum Jubeln und Jauchzen, denn „…sieh, dein König kommt zu dir!“ So lautet die Verheißung, von der Gott durch den Propheten Sacharja sprach und die sich 400 Jahre später in Jesus Christus erfüllte.
Auch wenn uns weder Sacharja noch Friedrich Ranke den Namen des verheißenen und ersehnten Königs nennen, ist doch klar, dass es sich hierbei um Jesus handelt. So schreibt der Evangelist Matthäus über Jesu Einzug in Jerusalem:
„Dies aber ist geschehen, damit erfüllt wurde, was durch den Propheten geredet ist, der spricht: Sagt der Tochter Zion: Siehe, dein König kommt zu dir, sanftmütig und auf einer Eselin reitend, auf einem Fohlen, dem Jungen eines Lasttiers“ (Mt 21,4).
Der perfekte König
Geschichten wie die von Culloden gibt es zuhauf. Allerdings ist das Problem nicht immer die Boshaftigkeit der Machthaber, sondern oftmals auch ihre Ohnmacht gegenüber der Boshaftigkeit ihrer Untergebenen. Wir leben einfach in einer ungerechten und heillosen Welt. Man muss nicht lange suchen, um auf die unterschiedlichsten Beispiele von Bestechungen, Fehlurteilen, Täuschungen und dergleichen zu stoßen. Täter kommen ungeschoren davon, Unschuldige werden zu Unrecht verurteilt und oft entsteht das Gefühl, dass der Gerechtigkeit nicht Genüge getan wurde. Wer wünscht sich da nicht einen Herrscher, der über all das erhaben ist und sich nicht täuschen, bestechen und verführen lässt? Wie gut ist es, dass wir an einen allwissenden, gerechten, demütigen uns siegreichen Herrn vertrauen können, der alle Dinge sieht, sie in die Waagschale legt und in Allwissenheit Gerechtigkeit üben wird.
Wenn es in Sacharja 9,9 heißt: „Siehe, dein König kommt zu dir. Er ist gerecht und siegreich und demütig“, dann wird uns Jesus damit als ein Herrscher beschrieben, wie man ihn sich nur wünschen kann. Er steht in völligem Kontrast zu allen anderen Herrschern, die ihre Untergebenen unterdrücken und ihre Macht ausnutzen (vgl. Mt 20,25). „Er hat niemals eine Sünde getan und es ist auch kein Betrug in seinem Mund gefunden worden“ (1Petr 2,22); und dies wurde von Menschen bezeugt, die jahrelang bis zu seinem Tod an seiner Seite waren. Ja selbst seine Feinde konnten ihn keiner Sünde überführen (vgl. Joh 8,46; Joh 19,6).
Das wiederkehrende Hosianna, das bei Jesu Einzug in Jerusalem vom Volk gerufen und in Rankes Adventslied gesungen wird, ist das hebräische Wort für: „Hilf!“ oder „Rette uns!“ Wer ehrlich zu sich selbst ist, der weiß, dass die Probleme dieser Welt nicht allein von den Großen und Mächtigen ausgehen, sondern dass schon das eigene Herz zu Arroganz, Neid, Selbstsucht und Habgier neigt. Wer über diese Tatsache seiner eigenen Ungerechtigkeit erschüttert ist, muss nicht verzweifeln, sondern darf sich freuen, jauchzen und jubeln, denn Gott hat Seinen Sohn als König und Retter gesandt!
Jesus ist der Gerechte und er ist auch der Siegreiche! Als sündloser Mensch hat er nicht nur ein Leben in völliger Gerechtigkeit geführt, sondern hat als ewiger Gott auch den Sieg errungen; und somit nicht nur eine Möglichkeit zur Errettung, sondern eine „vollkommene Errettung bewirkt“ (Hebr 7,25). Er hat „die Macht Sünden zu vergeben“ (Mt 9,6) und „er hat viele Ungerechte gerecht gemacht, indem er ihre Sünden trug“ (Jes 53,11). Jesus ist der einzige König, der allein in den Kampf zog, um stellvertretend für sein Volk den Sieg zu erringen (vgl. Hebr 2,10; Kol 2,15). Wer kann das von sich behaupten?
Der König der ganzen Welt
Dieser Jubel über die Herrschaft Jesu beschränkt sich nicht auf die Stadt Jerusalem, sondern erstreckt sich bis an die Enden der Erde. „Denn dem HERRN gehört das Königtum, er herrscht über alle Nationen“ (Ps 22,29). Im nächsten Vers von Sacharja 9 heißt es: „Er verkündet Frieden allen Nationen. Seine Herrschaft reicht von Meer zu Meer und bis an die Enden der Erde“ (Sach 9,10). Christus vergrößert sein Reich nicht durch Schlachten, Blutvergießen und Unterdrückung, sondern indem er den Menschen, die an ihn glauben, Frieden und Versöhnung bringt. „Gottes Reich besteht … in Gerechtigkeit und Frieden und Freude“ (Röm 14,17). Entsprechend heißt es in Rankes 3. Strophe:
Ewig steht dein Friedensthron, du, des ewgen Vaters Kind.
Der Frieden, den Christus schenkt, ist nicht einfach eine Zeit ohne Konflikte, sondern die Erlösung von dem Zorn Gottes, indem „[Gott] uns mit sich selbst versöhnt hat durch Jesus Christus“ (2Kor 5,18). Voller Demut und Barmherzigkeit nahm Jesus die Ungerechtigkeit seines Volkes auf sich und schenkte ihnen seine vollkommene Gerechtigkeit, mit der sie vor Gottes Gericht bestehen können (vgl. Jes 53,11; Röm 4). Alle, die durch den Glauben zu seinem Volk gehören, haben die Gewissheit der Herrlichkeit bei Gott – eine Gewissheit, die in allem Leid Hoffnung und Zuversicht gibt (vgl. Röm 5,1-59. All diese Segnungen gelten in Ewigkeit und sind untrennbar mit Jesu Person und seinem Werk verbunden.
Jesu Königreich ist überall. Ihm gehört schon jetzt alle Autorität im Himmel und auf Erden. Daher weiß der Glaubende, dass Christus auch jetzt in allen Umständen regiert und alles seiner Souveränität unterliegt. Dennoch warten wir sehnsüchtig auf den Tag, an dem Christus in seiner göttlichen Herrlichkeit wiederkommt, um all die Ungerechtigkeit, Tyrannei und Gräueltaten zu richten und sein ewiges Friedensreich sichtbar zu machen.
Die Frage ist: Kennen Sie Jesus als diesen König, Herrn und Erlöser? Wenn nicht, dann möchte ich Sie bitten: Verschließen Sie sich nicht der größten Freude, dem ewigen Frieden und der Hoffnung, die allein in Jesus Christus zu finden sind.
© Benjamin Schmidt, Herold Mission.