John Paton
Es gibt wenige Biografien, die mich so sehr beeindruckt haben, wie die von John Paton. Ich „stolperte“ gewissermaßen über ihn, als wir uns als Familie gerade in der Vorbereitung für den Missionsdienst befanden – einer Zeit vieler Herausforderungen, kritischer Fragen und Zweifel. Während dieser vier Jahre des Ringens, Diskutierens und Betens wurde mir das Leben von John Paton zu einem hellen Orientierungsstern, weil er ähnliche und schlimmere Situationen unter der Hand seines Gottes durchlebt hatte. Ich möchte einige Punkte aus Patons Autobiografie herausgreifen, die mir persönlich sehr geholfen haben, bzw. mich noch immer herausfordern.
Ich war zu Beginn meines Missionsdienstes Anfang dreißig, und auch Paton ging mit 33 Jahren, am 16. April 1858, mit seiner Frau Mary als schottischer Missionar zu den Neuen Hebriden (im Südpazifik, dem heutigen Vanuatu). Auch er bekam viel Gegenwind während seiner Vorbereitungszeit und musste lernen, mit harscher Kritik umzugehen, weil nur 19 Jahre zuvor zwei Missionare in dieser Region getötet und von Kannibalen verspeist worden waren. Die Bedenken waren also nachvollziehbar. Und die Kritik ging Paton entsprechend nahe:
„Die Widerstände waren von beinahe überallher sehr stark, und viele kamen von frommen Freunden, denen ich sehr zugetan war. Daher war ich stark versucht zu fragen, ob ich einen göttlichen Auftrag ausführte oder nur einem hartnäckigen Eigenwillen folgte. Das versetzte mich in viele Ängste und trieb mich nahe zu Gott und ins Gebet.“
Hier offenbart sich schon die erste Sache an Paton, die mir imponiert: in allen Konflikten und Herausforderungen suchte er Gottes Gegenwart. Aus dieser Gegenwart heraus gewann er dann die rechte Perspektive für seine jeweilige Situation und für seinen Dienst.
Mit der tiefen Gewissheit, von Gott berufen zu sein, machten sich die Patons schließlich auf den Weg und erreichten am 5. November 1858 die Insel Tanna – und nur fünf Monate später starben sowohl seine Frau als auch ihr neugeborener Sohn am Fieber.
Einen schlimmeren Start in die Missionsarbeit kann man sich wohl kaum vorstellen. Paton begrub die beiden Menschen, die er am meisten liebte, innerhalb eines halben Jahres nach seiner Ankunft. Eigenhändig und weit weg von allem, was ihm bis dahin gewohnt und liebe gewesen war. Er schreibt:
„Erschüttert von dem schrecklichen Verlust beim Antritt auf diesem Arbeitsfeld, zu dem der Herr selbst mich offensichtlich geführt hatte, schien mir mein Verstand eine Zeit lang zu schwinden. Der ewig gnädige Herr stützte mich […] und [die Gräber wurden] mein heiliger und oft aufgesuchter Altar während der folgenden Monate und Jahre, während ich für die Errettung der heidnischen Insulaner mitten unter Schwierigkeiten, Gefahren und Todesdrohungen weiterarbeitete […] Aber ohne Jesus und die Gemeinschaft mit ihm wäre ich sicher irregeworden und neben den einsamen Gräbern gestorben!“
Das saß bei mir.
Hier war eine junge Familie, die sich dazu durchgerungen hatte, Gott unter widrigsten Umständen zu dienen. Eine Familie, die das Risiko eingegangen war, von Indianern getötet zu werden. Und als der Tod dann von einer ganz anderen Seite kam, traf es Paton so hart, wie es jeden liebenden Menschen treffen würde. Doch anstatt in den Schoß der Familie und in seine alte Heimat zurückzukehren, suchte Paton Trost bei seinem himmlischen Vater und blieb.
Immer wieder warf er sein Vertrauen auf seinen Gott, den er schon von Kindertagen an kannte. Sein Vater hatte ihm einen Glauben vorgelebt, der Paton bis ins hohe Alter prägte. Bei ihm hatte er beten gelernt und von ihm hatte er die Liebe zu den verlorenen Menschen dieser Welt übernommen. Patons Gottvertrauen wurde mehrere Male auf harte Proben gestellt, doch jedes Mal bewährte es sich. Denn er suchte immer wieder bei seinem Gott Zuflucht und gewann bei Ihm tiefen Frieden, Durchhaltevermögen und Zuversicht – auch in den widrigsten Umständen.
In den ersten vier Jahren, in denen Paton überwiegend allein auf der Insel lebte, arbeitete er unter unvorstellbaren Schwierigkeiten und war ständigen Bedrohungen ausgesetzt. Er selbst schrieb über diese Zeit:
„Unsere beständige Lebensgefahr brachte mich nun dazu, oftmals in meinen Kleidern zu schlafen, damit ich bei der ersten Warnung aufspringen konnte. […] Meine Feinde ließen selten ihre hasserfüllten Absichten gegen mich ruhen, wenn sie sich auch manchmal für kurze Zeit beruhigten oder nicht wussten, was sie anfangen sollten […]
Ein wilder Häuptling verfolgte mich stundenlang mit seiner geladenen Muskete, und wenn er sie auch oft auf mich richtete, hielt Gott doch seine Hand zurück. Ich sprach ihn freundlich an und setzte dann meine Arbeit fort, als sei er nicht anwesend, weil ich völlig überzeugt war, dass mein Gott mich dorthin gebracht hatte und mich beschützen würde, bis die mir zugeteilte Arbeit vollendet wäre. Während ich in ununterbrochenem Gebet zu unserem teuren Herrn Jesus aufblickte, überließ ich alles seinen Händen und fühlte mich unsterblich, bis mein Werk getan war.
Drangsale und Bewahrungen stärkten meinen Glauben und schienen mich nur für die noch folgenden Anfechtungen zu kräftigen, die sich fast fortwährend aneinanderreihten.“
Patons schier unerschütterliches Gottvertrauen war für mich, in meinem privaten „Mini-Sturm“ der Missionsvorbereitung, eine immense Ermutigung. Denn auch meine Zeit liegt in Gottes Händen und auch ich bin unsterblich, bis mein Werk getan ist. Speziell dieser Gedanke gab mir die Freiheit, Dinge zu wagen, auch wenn nicht alle um herum jubelten. John Paton hatte es praktisch vorgelebt, wie man Gott vertraut – und sein Gott ist auch mein Gott! Diese Erkenntnis brachte mich innerlich zur Ruhe.
Vor allem eine Szene in Patons Leben berührte mich tief:
Als Paton gerade wieder einmal vor einer Schar wütender Eingeborener fliehen musste, trat ihm ein zwielichtiger Häuptling entgegen und gewährte ihm Zuflucht – in einem Baum:
„Weil ich völlig der Gnade eines so zweifelhaften und wankelmütigen Freundes ausgeliefert war, dachte ich, wenn ich auch gänzlich verwirrt, dass es das Beste sei, ihm zu gehorchen. Ich kletterte in den Baum, wo man mich in der grünen Wildnis allein ließ.
Die dort verbrachten Stunden sind mir so gegenwärtig, als sei es gestern gewesen. Ich hörte häufig Gewehrschüsse und die Rufe der Wilden. Doch ich saß da zwischen den Zweigen so sicher wie in Jesu Armen. Nie kam mir mein Erlöser während all meiner Kümmernisse näher und sprach beruhigender zu meiner Seele als dort.
Während das Mondlicht durch die Nussblätter flimmerte und die Nachtluft meine schmerzende Stirn sanft umwehte, schüttete ich mein ganzes Herz vor Jesus aus. Ich war allein, und doch nicht allein! Wenn es der Verherrlichung meines Gottes dient, will ich nicht murren, falls ich viele Nächte allein in einem solchen Baum zubringen sollte und dort die geistliche Gegenwart meines Heilands spüre und die tröstende Gemeinschaft mit ihm genieße. Wenn du so auf deine eigene Seele zurückgeworfen wirst – allein, ganz allein, mitten in der Nacht, im Urwald, ja, im Angesicht des Todes selbst, hast du dann einen Freund, der dich nicht im Stich lässt?“
Diese letzte Frage, die Paton hier stellt, trifft mich immer wieder. Sie bringt theologische Überzeugungen und das praktische Leben zusammen. Sie entstammt einer tiefen Gotteserkenntnis und Gottesbeziehung. Patons Glaube wurde in den ersten vier Jahren auf Tanna hart erprobt, was zu einem unerschütterlichen Vertrauen auf die Verheißungen Gottes führte:
„Ohne das bleibende Bewusstsein der Gegenwart und der Kraft meines liebenden Herrn und Heilandes hätte mich nichts sonst in der Welt davor bewahren können, den Verstand zu verlieren und elend umzukommen. In seinen Worten: ‚Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis zur Vollendung des Zeitalters‘, wurde er mir so real, dass ich mich nicht verwundert hätte, ihn wie Stephanus als denjenigen zu sehen, der auf die Erde herabblickte. Ich spürte seine hindurchtragende Macht […] Es ist die nüchterne Wahrheit und ich erinnere mich noch zwanzig Jahre später gern daran, dass der hochgelobte Herr mir nie so nahe war und mir nie in so kostbarere Weise zur Seite stand wie in jenen schrecklichen Augenblicken, wenn Musketen, Keulen oder Speere auf mich gerichtet waren.“
Patons Zeugnis verwandelte meine Furcht vor Situationen, in denen mir Leid oder sogar Verluste begegnen könnten, in eine Art Vorfreude auf eine besondere Schatzsuche. Denn, wenn gerade Herausforderungen dazu nötig sind, um Gott zu begegnen, dann lohnt es sich ja, diese anzunehmen.
Allerdings wusste Paton auch, dass wir nicht dazu berufen sind, Leid und Verlust zu suchen, und dass es eine Grenze des Belastbaren gibt. Und so kam es, dass er im Februar 1862 schließlich an den Punkt angelangte, an dem er einsah, dass die Zeit für ihn gekommen war und er von der Insel fliehen musste.
Dies war aber nicht das Ende seines Dienstes. In den vier Jahren danach durchzog er viele Gemeinden in Australien und England und mobilisierte Menschen für die presbyterianische Mission auf den Neuen Hebriden.
Im Jahr 1864 heiratete er seine zweite Frau Magaret und zog mit ihr im November 1866 auf die kleine Insel Aniwa. In den darauffolgenden 15 Jahren durften sie erleben, dass sich die Bevölkerung der gesamten Insel zu Christus bekehrte. John Paton überlebte Margaret um zwei Jahre. Er starb am 28. Januar 1907 im Alter von 82 Jahren in Australien.
Die vielen Leidensjahre und die ausgedehnten Reisedienste John Patons gebrauchte Gott, um viele Christen für die Mission Gottes zu begeistern – und über 150 Jahre später auch mich.
Über den Autor: Thomas Hamm arbeitet als VDM-Missionar für die Herold Schriftenmission und ist Leiter des Permission Verlags. Er ist verheiratet mit Jolanda. Gemeinsam haben sie drei Kinder.