Andrew Fuller

Andrew Fuller – Er bleib zu Hause, um die Welt zu retten

Du wirst es nicht in den säkularen Geschichtsbüchern lesen oder in den Abendnachrichten hören, dennoch muss man bei fairer Betrachtungsweise zugeben, dass die moderne Missionsbewegung – die mit William Careys Aufbruch nach Indien im Jahr 1793 begann – die wichtigste historische Entwicklung der letzten 200 Jahre war. Stephen Neill schreibt am Ende seiner History of Christian Missions: „Das kühle und rationale 18. Jahrhundert war kein verheißungsvoller Nährboden für das Wachstum des christlichen Glaubens; dennoch entstand in dieser Zeit ein größerer Aufbruch christlicher Missionsgesellschaften als in all den Jahrhunderten zuvor“ (S. 571).

Wie kam es also, dass gerade im „kühlen und rationalen“ 18. Jahrhundert die größte Missionsbewegung der Weltgeschichte entstand – eine Bewegung, die bis heute anhält und von der du – sofern du willst – ein Teil werden kannst? Wirklich, Gottes Wege sind höher als unsere Wege, und seine Urteile sind unerforschlich und unaufspürbar (vgl. Röm 11,33).

Die Faktoren, die zu dieser großen Bewegung geführt haben, sind so vielfältig, dass niemand sie alle aufzählen kann. Mir geht es hier nur um einen Aspekt – nur einen von den zehntausend Dingen, die Gott bewirkt hat, um diese große Missionsbewegung auszulösen, um Christus zu verherrlichen, das Evangelium zu fördern, die Gemeinde zu erweitern, das Böse zu bekämpfen, Satan zu besiegen, Kulturen zu verändern und Seelen zu retten.

Große Gewinne und Verluste

Andrew Fuller starb am 07. Mai 1815 im Alter von 61 Jahren. Über 32 Jahre lang war er Pastor der Baptistenkirche in Kettering gewesen (mit einem Bevölkerungsanteil von 3.000 Einwohnern), nachdem er bereits als Pastor in Soham (England) gedient hatte. Aufgewachsen war Fuller auf der elterlichen Farm, wo er eine einfache Erziehung erhielt.  

Obwohl er keine formale theologische Ausbildung besaß, wurde er zum theologischen Sprachrohr der calvinistischen Baptisten seiner Zeit. Mit 17 Jahren begann er, gelegentlich in seiner Heimatgemeinde in Soham zu predigen. Mit 21 Jahren berief die Gemeinde ihn schließlich zum Pastor.

Ein Jahr nach seinem Amtseintritt in Soham heiratete er Sarah Gardiner. In den 16 Jahren vor ihrem Tod hatte das Paar elf Kinder, von denen acht im Säuglings- oder im Kleinkindalter starben. Sarah starb zwei Monate bevor die Baptistische Missionsgesellschaft in ihrem Zuhause im Oktober 1792 gegründet wurde.

Im geistlichen Dienst ist es oft so, dass zwischen den größten Gewinnen und Verlusten oftmals nur Monate liegen. „Wer sein Leben verliert um meinetwillen, wird es finden“ (Mt 10,39). „Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es viel Frucht“ (Joh 12,24). 1794 heiratete Fuller ein zweites Mal. Seine zweite Frau Ann Coles überlebte ihn um zehn Jahre.

Halte das Seil!

Während der vierzig Jahre seines pastoralen Dienstes hat Fuller mehr zu tun versucht, als ein einzelner Mann gut ausführen könnte. Er versuchte, eine Familie zu gründen, eine Gemeinde zu leiten, sich mit den zerstörerischen Irrlehren seiner Zeit auseinanderzusetzen und das Amt des Leiters der Baptistenmission auszufüllen.

Eine kleine Gruppe von Baptistenpastoren, darunter auch William Carey, hatte am 2. Oktober 1792 die Baptistische Missionsgesellschaft gegründet. Mehr als jeder andere spürte Fuller die Verantwortung für William Carey und John Thomas (und später auch andere), die nach Indien ausreisten und vollständig von dieser Gruppe von Brüdern abhängig waren. Einer von ihnen, John Ryland, berichtete die Geschichte, aus der das berühmte Bild des „Seilhalters“ stammt. Er schrieb:

Unser Unternehmen in Indien erschien mir zu Beginn wie das Vorhaben einiger Männer, die darüber nachdenken, in eine tiefe, unerforschte Mine vorzudringen. Wir hatten niemanden, der uns anführte; Und während wir so berieten, sagte Carey gewissermaßen: „Gut, ich werde hinuntergehen, wenn ihr das Seil haltet.“ Aber bevor er hinabstieg … nahm er, wie es mir schien, jedem von uns am Eingang der Grube einen Eid ab, dass wir, „solange wir leben, das Seil niemals loslassen würden“. (Offering Christ to the World, S. 136).

Fuller war über 21 Jahre lang der wichtigste Förderer, Denker, Financié und Kontakt der Missionsgesellschaft. Er hielt das Seil fester und gewissenhafter als jeder andere. Ununterbrochen reiste er umher, um Mittel für die Mission aufzutreiben. Er schrieb die regelmäßigen Finanzberichte und lieferte Missionsnachrichten für die unterschiedlichen christlichen Magazine. Außerdem übernahm er die Führungsrolle bei der Auswahl neuer Missionare und hielt den Kontakt zu den Missionaren im In- und Ausland.

Außergewöhnliche Leiden

Die außerordentlichen Leiden, insbesondere die Verluste, die er erlitten hatte, sind in diese Arbeit eingeflochten und machen seine Beharrlichkeit umso erstaunlicher. Er verlor acht Kinder und seine erste Frau. Am 10. Juli 1792 schrieb er: „Meine familiären Sorgen haben mich fast erdrückt, und was noch vor mir liegt, weiß ich nicht! Seit etwa einem Monat ist der Kummer meiner lieben Gefährtin sehr groß.“ Dann, am 25. Juli: „Oh mein Gott, meine Seele in mir ist niedergeschlagen! Die Leiden meiner Familie scheinen zu schwer für mich zu sein. Oh, Herr, ich bin bedrängt, unternimm etwas für mich!“ (The Complete Works of the Rev. Andrew Fuller, 1:58-59). Als seine Frau einen Monat später, am 23. August 1792, starb, nachdem sie acht Kinder verloren hatten, schrieb Fuller diese Zeilen:

Die zarten Eltern beklagen keinen Verlust mehr,

und mühen sich nicht mehr unter der schweren Last des Lebens;

Die ängstliche Seele, befreit von Angst und Sorgen,

hat ihr Heim, ihre Kinder und ihren Gott gefunden. (Works, 1:59-61)

Fuller und die Hyper-Calvinisten

Fuller wuchs in einer Gemeinde auf, die er als Hyper-Calvinistisch bezeichnete. Später sagte er, dass der Geistliche in der Gemeinde in Soham (John Eve) „den Unbekehrten wenig oder nichts zu sagen hatte“ (Offering Christ to the World, S. 27). Fullers größte theologische Leistung bestand darin, die Wahrheit zu erkennen, zu verteidigen und zu verbreiten, dass der historische, biblische Calvinismus das Angebot des Evangeliums ausnahmslos allen Menschen unterbreitet.

Die Argumentation der Hyper-Calvinisten verlief, in den Worte Fullers, folgendermaßen:

Es ist absurd und grausam, von einem Menschen etwas zu verlangen, was er nicht zu leisten vermag; Und da die Heilige Schrift erklärt, dass „niemand zu Christus kommen kann, es sei denn, dass der Vater ihn zieht“ [vgl. Joh 6,44], und dass „der natürliche Mensch die Dinge des Geistes Gottes nicht empfängt und sie auch nicht erkennen kann, weil sie geistlich beurteilt werden“ [vgl. 1Kor 2,14], wird gefolgert, dass dies Dinge sind, zu denen der Sünder, solange er nicht wiedergeboren ist, nicht verpflichtet ist. (Works, 2:376)

„Es ist eine Art Grundsatz bei solchen Leuten“, so Fuller, „dass ‚niemand gezwungen werden kann, geistlich zu handeln, abgesehen von geistlichen Menschen‘“ (Works, 2:360). Die praktische Schlussfolgerung, die die Hyper-Calvinisten zogen, war, dass die Nicht-Erwählten nicht glauben müssten. Es ist keine Pflicht für diejenigen, die nicht wiedergeboren sind. Die Nicht-wiedergeborenen sind nicht verpflichtet zu glauben. Deshalb sollte man – ihrer Meinung nach – niemals wahllos zum Glauben aufrufen. Ihrer Meinung nach stellt man sich nicht vor eine Gruppe Menschen – ob in Großbritannien oder in Indien – und sagt: „Glaubt an den Herrn Jesus Christus!“ Man ermahnt, bittet, ruft, befiehlt und drängt sie nicht zu einer Entscheidung diesbezüglich.

Diese rationalistische Verzerrung des biblischen Calvinismus hatte zur Folge, dass die Kirchen leblos waren, die Konfession der Hyper-Calvinistischen Baptisten lag im Sterben und die neuen Missionsbemühungen in Indien wurden abgelehnt.

Natürliche und moralische Unfähigkeit

In Fullers bekanntestem Werk, The Gospel Worthy of All Acceptation [dt. etwa: Das Evangelium, das aller Annahme wert ist], führt er einen Schriftbeweis nach dem anderen auf, in dem Ungläubige aufgefordert werden, zu glauben (Psalm 2,11-12; Jesaja 55,1-7; Jeremia 6,16; Johannes 5,23; 6,29; 12,36, siehe Works, 2:343-66). Diese Bibelstellen sind Fullers letzte Instanz gegen die Hyper-Calvinisten, die mit ihrer angeblichen Logik von biblischen Voraussetzungen zu unbiblischen Schlussfolgerungen gelangten.

Weitere Hilfe fand Fuller auch in den Ausführungen von Jonathan Edwards (1703-1758), um den Einwand der Hyper-Calvinisten auf einer anderen Ebene zu beantworten. Erinnern wir uns? Der Einwand lautete: „Es ist absurd und grausam, von einem Menschen etwas zu verlangen, was er nicht leisten kann.“ Mit anderen Worten: Die Unfähigkeit eines Menschen, zu glauben, enthebt ihn seiner Verantwortung, zu glauben (und unserer Pflicht, ihm zu befehlen zu glauben). Als Antwort auf diesen Einwand bringt Fuller die Unterscheidung zwischen moralischer Unfähigkeit und natürlicher Unfähigkeit vor, eine wichtige Erkenntnis, die er von Edwards gelernt hat.

Der Unterschied ist folgender: Das natürliche Unvermögen beruht auf dem Mangel an „intellektueller Begabung, körperlicher Kraft oder äußerer Vorzüge“; das moralische Unvermögen hingegen auf dem Mangel an Neigung aufgrund eines abgeneigten Willens. Die natürliche Unfähigkeit hebt in der Tat die Verpflichtung auf. Die moralische Unfähigkeit hingegen nicht, und das ist die Art von Unfähigkeit, von der die Bibel spricht, wenn sie sagt: „Ein natürlicher Mensch aber nimmt nicht an, was des Geistes Gottes ist, denn es ist ihm eine Torheit, und er kann es nicht erkennen, weil es geistlich beurteilt wird“ (2Kor 2,14).

Mit anderen Worten: „Es ist genauso unmöglich, etwas zu tun, wozu man nicht gewillt ist, wie etwas zu tun, wozu man körperlich nicht in der Lage ist. Aber die Unfähigkeit aufgrund physischer Hindernisse entschuldigt, während die Unfähigkeit aufgrund eines rebellischen Willens nicht entschuldigt wird“ (Works, 2:378).

Predigen, einladen, rufen, warnen

Die wichtigste Schlussfolgerung aus dieser exegetischen, lehrmäßigen und theologischen Kontroverse war die enorme praktische Bedeutung für die Evangelisation und die Weltmission. Fuller schrieb:

Ich glaube, dass es die Pflicht eines jeden Dieners Christi ist, allen, die es hören wollen, das Evangelium klar und treu zu predigen. Ich glaube weiterhin, dass die Unfähigkeit des Menschen, geistliche Dinge zu tun, ausschließlich moralischer Natur ist. Daher sind sie verpflichtet, den Herrn Jesus Christus zu lieben und auf ihn zu vertrauen, um gerettet zu werden, auch wenn sie es nicht tun; Ich glaube daher, dass freie und ernste Aufforderungen, Einladungen, Aufrufe und Warnungen an sie nicht nur richtig sind, sondern als nötige Mittel vom Geist Gottes gebraucht werden, um sie zu Christus zu führen. Ich betrachte es als Teil meiner Pflicht, die ich nicht unterlassen kann, ohne mich des Blutes von Seelen schuldig zu machen.“ (Offering Christ to the World, S. 106).

Fullers eifriges Engagement als Pastor und Familienvater mag in seinem Ausmaß unangebracht erscheinen. Denn der Preis, den er für seine Gemeinde und Familie bezahlte, war hoch. Aber die Frucht für die Weltmission war unbezahlbar. Es gab kaum jemand in seiner Zeit, der sich gegen den Hyper-Calvinismus wandte, obwohl dessen Lehren die Gemeinden zerstörte, die Ausbreitung des Evangeliums hemmte und der Mission feindlich gegenüberstand. Fuller hat es getan und damit die theologische Grundlage für die Gründung des größten Missionsbewegung in der Welt gelegt.

Eine lebenswichtige Verbindung

Andrew Fuller hilft uns die lebenswichtige Verbindung zwischen der lehrmäßigen Treue der Gemeinde und dem Anliegen der Weltmission zu erkennen. Denn heute geht die Tendenz eher in die andere Richtung. Überall ist man der Ansicht, dass die Mission davon abhängt, dass man nicht über Lehren streitet. Sobald man mit anderen Christen in einer Kontroverse über eine biblische Frage verwickelt ist, ist der Aufschrei groß: Hör auf, deine Zeit zu verschwenden, und kümmere dich um die Mission.

Was wir von Fuller lernen, ist, dass diese Rufe bestenfalls historisch naiv und schlimmstenfalls ein Vorwand für die ungehemmte Verbreitung von Irrlehren sind.

Eine wesentliche Lektion, die wir aus Andrew Fullers Leben ziehen können, ist, dass die exegetische und lehrmäßige Verteidigung einer wahren Verkündigung des Evangeliums letztendlich die größte Missionsbewegung in der Geschichte nicht hinderte, sondern förderte. Die biblisch korrekte Vermittlung der christlichen Lehre und des Evangeliums ist eine wesentliche Voraussetzung für die Kraft, die Ausdauer und die Fruchtbarkeit der Weltmission.


© John Piper @ Desiringgod.org. Die Wiedergabe erfolgte mit freundlicher Genehmigung.

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