Kriege, Erdbeben und Antichristen – 7 Dinge, die jeder Christ über die Endzeit wissen sollte
Leben wir in der Endzeit? Wenn ich mir meinen YouTube-Feed so anschaue, könnte man schon den Eindruck gewinnen, dass wir in einer besonderen Zeit leben und das Ende nahe ist. Der überraschende Angriff der Hamas auf Israel hat einige christliche Prediger auf den Plan gerufen, die der Meinung sind, die „Zeichen der Zeit“ zu erkennen. Ihrer Meinung nach erfüllen sich biblische Prophetien unmittelbar vor unseren Augen, während wir die Nachrichten über die Vorgänge im Nahen Osten betrachten.
Zweifellos sind es traumatische Bilder, die uns erreichen, doch die Erfahrung hat mich gelehrt, solche Endzeitprophetien mit gesunder Skepsis zu betrachten.
Christen waren schon immer davon überzeugt, in der Endzeit zu leben
Ich erinnere mich noch gut daran, wie sich Mitte der 90er Jahre die Romanserie Left Behind großer Beliebtheit unter Christen erfreute. Darin werden auf fiktive Weise Ereignisse geschildert, die sich in den letzten Monaten und Jahren vor Jesu Wiederkunft abspielen sollen – angefangen bei der Entrückung der Gemeinde bis hin zum Auftreten des Antichristen und dem Ausgießen der Zornesschalen Gottes. Nicht wenige Christen lasen die Romane mit derselben Brille wie ihre Tageszeitung, in der Erwartung, dass all dies tatsächlich so eintreffen wird.
Als ich einige Jahre später in Peru lebte, erzählte mir meine Spanisch-Lehrerin von einem Prediger, der mit der Bibel in der einen und der Tageszeitung in der anderen Hand die Zeichen der Zeit deuten könne. Dies zeigte mir, dass nicht nur die westlichen Christen vom Thema der Endzeit fasziniert sind.
Meines Erachtens beschäftigen sich Christen weltweit entweder zu viel oder aber viel zu wenig mit diesem Thema. Manche von ihnen scheinen nur noch über dieses eine Thema zu sprechen und auch damit verwandte Bücher und Vorträge zu hören. Andere wiederum wollen sich scheinbar überhaupt nicht mit diesen Fragen beschäftigen. Wenn wir aber ins Neue Testament schauen, sehen wir, dass alle Evangelisten sich dazu äußern und sich nahezu jeder Brief der Apostel auf die eine oder andere Weise mit der Endzeit beschäftigt.
Nicht nur angesichts des neu aufkommenden Interesses und der aktuellen Weltlage sollten Christen sich mit dem Thema der Wiederkunft Jesu auseinandersetzen. Da es aber selten hilfreich ist, sich in Details zu verlieren, will ich in diesem Artikel 7 Dinge betonen, die wir wirklich mit Klarheit wissen können, weil sie eindeutig in der Bibel genannt werden, und weil sie mit den Lehren aus der Kirchengeschichte übereinstimmen.
Fangen wir zunächst mit einer Begriffsklärung an. Was meinen wir eigentlich mit dem Begriff „Endzeit“?
Was bedeutet der Begriff „Endzeit“?
Zunächst einmal müssen wir festhalten, dass der Begriff „Endzeit“ so nicht in der Bibel vorkommt. Die Propheten des Alten Testaments sprachen von Gottes zukünftigen Heilshandeln „am Ende der Tage“. So zum Beispiel in Jesaja 2,2: „Und es wird geschehen am Ende der Tage, da wird der Berg des Hauses des HERRN fest stehen als Haupt der Berge und erhaben sein über die Hügel und alle Nationen werden zu ihm strömen.“ Weitere Stellen sind Jeremia 23,20; Hesekiel 38,16; Daniel 10,14; Hosea 3,5 und Micha 4,1.
Ein weiterer wichtiger Begriff, der mit dem zukünftigen Gerichts- und Heilshandeln Gottes verbunden wird, ist der „Tag des HERRN“, der insbesondere das dominierende Thema des Propheten Joels ist (vgl. Joel 2,1-11; 3,1-5; 4,9-17). Aus der Perspektive des Alten Testamentes lag dies alles noch in ferner Zukunft, ohne das der „Tag des HERRN“ zeitlich konkret eingegrenzt wurde.
Viele Christen verstehen heute unter der Endzeit, die „letzte Zeit“, im Sinne einer Zeitepoche, die das Ende der Welt einleitet oder als Markierung, dass das Ende kurz bevor steht. Nicht selten habe ich es erlebt, dass Christen besonders dramatische Entwicklungen in der Weltgeschichte (wie jüngst den Angriff der Hamas auf Israel) mit den Worten kommentieren: „Ja, wir leben in der Endzeit!“ Damit verbunden ist die Erwartung eines baldigen Auftreten des Antichristen und einer satanischen Weltordnung – also die Erwartung eines apokalyptischen Zeitalters innerhalb der nächsten Jahre.
Schauen wir aber ins Neue Testament, fällt auf, dass für die Apostel die „Endzeit“ mit der Erfüllung der alttestamentlichen Verheißungen einherging, und zwar so, wie sie sich in der Menschwerdung, dem stellvertretenden Sühnetod und der Auferstehung unseres Herrn Jesus verwirklichte.
Als Jesus seinen öffentlichen Dienst begann, tat er das mit den Worten: „Die Zeit ist erfüllt, und das Reich Gottes ist nahe gekommen. Tut Buße und glaubt an das Evangelium!“ (Mk 1,15). Jesus trat mit der Überzeugung auf, dass mit seiner Ankunft eine bestimmte Zeitepoche „erfüllt“ war. Das bedeutete auch, dass, da diese alte Zeit zu Ende war, eine letzte Periode des anbrechenden Reiches Gottes begonnen hatte. Die Konsequenz daraus lautete: Bereut eure Sünden, kehrt um zu Gott und glaubt an das Evangelium, die gute Nachricht Gottes!
Das Erste, was wir Christen daher über die Endzeit wissen sollten, ist die Tatsache, dass wir bereits in ihr leben – und das seit über 2000 Jahren.
1. Wir leben seit über 2000 Jahren in der Endzeit
Nahezu alle Autoren des Neuen Testaments sprachen davon, dass mit dem Kommen Jesu die „letzte“ Zeit angebrochen war. In Jesus war der Höhepunkt der alttestamentlichen Verheißungen und die letztendliche, abschließende Offenbarung Gottes an uns Menschen gekommen.
Hier eine Auswahl der deutlichsten Texte:
- Paulus in Galater 4,4: „Als aber die Fülle der Zeit kam, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau, geboren unter dem Gesetz.“ Die Geburt Jesu geschah nicht zufällig, sondern zu dem von Gott festgesetzten Zeitpunkt in der Geschichte.
- Paulus in 1. Korinther 10,11: „Alles dies aber widerfuhr jenen als Vorbild und ist geschrieben worden zur Ermahnung für uns, über die das Ende der Zeitalter gekommen ist.“ Paulus spricht hier über die lehrhafte Funktion des Alten Testaments für die Christen, und er sagt, dass das „Ende der Zeitalter“ gekommen ist. Allerdings spricht er nicht von einem apokalyptischen Ende der Welt, sondern davon, was es bedeutet, Jesus heute nachzufolgen.
- Petrus in der Pfingstpredigt, in Apostelgeschichte 2,16-17: „Sondern dies ist es, was durch den Propheten Joel gesagt ist: ‚Und es wird geschehen in den letzten Tagen, spricht Gott, dass ich von meinem Geist ausgießen werde auf alles Fleisch, und eure Söhne und eure Töchter werden weissagen, und eure jungen Männer werden Erscheinungen sehen, und eure Ältesten werden in Träumen Visionen haben.‘“ Petrus zitiert hier Joel 3,1-5 und deutet die Ausgießung des Heiligen Geistes zu Pfingsten als dessen Erfüllung. Interessant ist, dass Petrus hier den hebräischen Grundtext etwas abänderte und ihm dadurch zusätzliches theologisches Gewicht verleiht, indem er von den „letzten Tagen“ spricht. Damit wollte Petrus aber nicht sagen, dass es die letzten Tage dieser Welt sind, weil sie bald untergeht, sondern vielmehr, dass die Generation, zu der er sprach, Augenzeugen vom ultimativem, „letztendlichen“ Heilshandeln Gottes in Christus war.
- Petrus in 1. Petrus 4,7: „Es ist aber nahe gekommen das Ende aller Dinge. Seid nun besonnen und seid nüchtern zum Gebet.“ In seinem Brief an die Christen kann Petrus davon sprechen, dass „das Ende“ nahe bevorsteht, ohne dieses Ende näher zu konkretisieren. Doch anstatt einen genauen „Fahrplan“ für die Endzeit und die Wiederkunft Jesu zu geben, weist er die Christen dazu an, ein besonnenes Leben in Demut und im Gebet zu führen.
- Der Schreiber des Hebräerbriefs in Hebräer 1,1-2: „Nachdem Gott vielfältig und auf vielerlei Weise ehemals zu den Vätern geredet hat in den Propheten, hat er am Ende dieser Tage zu uns geredet im Sohn, den er zum Erben aller Dinge eingesetzt hat.“ Hier kommt gut die Grundüberzeugung der Apostel zum Ausdruck, dass mit dem Kommen Jesu eine neue Zeitrechnung angefangen hat. Später kommt der Autor in seinem Brief erneut auf diesen Gedanken zurück, wenn er von dem stellvertretenen Opfer Jesu spricht: „Jetzt aber ist er einmal in der Vollendung der Zeitalter offenbar geworden, um durch sein Opfer die Sünde aufzuheben“ (Hebr 9,26).
- Johannes in 1. Johannes 2,18: „Kinder, es ist die letzte Stunde, und wie ihr gehört habt, dass der Antichrist kommt, so sind auch jetzt viele Antichristen aufgetreten; daher erkennen wir, dass es die letzte Stunde ist.“ Johannes kann sogar davon sprechen, dass „die letzte Stunde“ angebrochen ist. Jesus ist gekommen und hat sein Werk vollbracht. Dennoch wollen viele diese Tatsache nicht wahrhaben und leugnen Jesus als Gott im Fleisch gekommen. Das ist für Johannes ein Zeichen dafür, dass wir in der Endzeit leben.
Nach den Aussagen Jesu und der Apostel müssen wir zu dem Schluss kommen, dass wir bereits seit über 2000 Jahren in der Endzeit leben. Das Neue Testament versteht unter Endzeit in erster Linie das Anbrechen des Reiches Gottes, das mit dem ersten Kommen Jesu in diese Welt Wirklichkeit wurde, und das so lange dauert, bis er eines Tages wiederkommt.
Andererseits verwendet Matthäus die Formulierung „Vollendung des Zeitalters“ auch in Bezug auf die Wiederkunft Jesu und das buchstäbliche Ende der Welt: „Als er [Jesus] aber auf dem Ölberg saß, traten seine Jünger für sich allein zu ihm und sprachen: Sage uns, wann wird das sein, und was ist das Zeichen deiner Ankunft und der Vollendung des Zeitalters?“ (Mt 24,3; vgl. auch Mt 13,39-40.49; 28,20)
Diese Tatsache verdrängt jedoch nicht das grundlegende Konzept von der Endzeit, wie wir es weiter oben aufgeführt haben. Zusammenfassend können wir sagen, dass sich mit dem ersten Kommen Jesu die alttestamentlichen Verheißungen Gottes erfüllten, dass aber die endgültige Erfüllung des Planes Gottes noch aussteht und sich mit dem zweiten Kommen Jesu erfüllt. Doch wann das sein wird, kann niemand voraussagen. Das bringt mich zu dem zweiten Punkt darüber, was Christen über die Endzeit wissen sollten.
2. Niemand weiß, wann Jesus wiederkommen wird
Es gehört zur urchristlichen Überzeugung, dass Jesus eines Tages als der glorreiche König des Universums sichtbar wiederkommen wird, um die Geschichte dieser Welt zu einem großen Abschluss zu bringen. Daher heißt es im Apostolischen Glaubensbekenntnis:
„Er [Christus] sitzt zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters;
von dort wird er kommen, zu richten die Lebenden und die Toten.“
Dass Jesus wiederkommen wird, steht nach Aussage des Neuen Testaments außer Frage. Kurz nach seiner Himmelfahrt wurden die zurückgelassenen Jünger von den Engeln mit folgenden Worten ermutigt: „Männer von Galiläa, was steht ihr und seht hinauf zum Himmel? Dieser Jesus, der von euch weg in den Himmel aufgenommen worden ist, wird so kommen, wie ihr ihn habt hingehen sehen in den Himmel“ (Apg 1,11).
Jesus selbst sprach davon, dass er als der „Menschensohn“ (vgl. Dan 7,13-14) am Ende der Zeit wiederkommen würde. Doch wann das sein würde, weiß niemand. Darüber hat Jesus seine Jünger nicht im Zweifel gelassen. Im Anschluss an seine Rede auf dem Ölberg (die in manchen Bibelübersetzungen auch als „Endzeitrede“ bezeichnet wird), wo er von der Zerstörung des Tempels in Jerusalem sprach, erzählte Jesus auch mehrere Gleichnisse, die allesamt ein und dieselbe Botschaft vermitteln: Lebt zu jeder Zeit so, dass ihr für meine Ankunft bereit seid!
In seinem ersten Gleichnis vom Feigenbaum sagte Jesus: „Von jenem Tag aber und jener Stunde weiß niemand, auch nicht die Engel in den Himmeln, auch nicht der Sohn, sondern der Vater allein“ (Mt 24,36).
Nicht einmal Jesus selbst wusste den Zeitpunkt seiner Wiederkunft, weil der Gott, der Vater, dieses Wissen während der Zeit seines irdischen Wirkens, vor Jesus verborgen hielt. Mehrmals vergleich Jesus sein Kommen mit dem eines Diebes, der plötzlich und ohne Vorwarnung in der Nacht zuschlägt (vgl. Mt 24,37-25,30). Dieser Vergleich wird ebenfalls von den Aposteln aufgegriffen:
- Paulus in 1. Thessalonicher 5,2-4: „Zur Frage nach dem Zeitpunkt und den näheren Umständen dieser Ereignisse braucht man euch nichts zu schreiben, Geschwister. Ihr selbst wisst ganz genau, dass jener große Tag, der Tag des Herrn, so unerwartet kommen wie ein Dieb in der Nacht. Wenn die Leute meinen, es herrsche Frieden und Sicherheit, wird plötzlich das Unheil über sie hereinbrechen wie Wehen, die eine schwangere Frau überfallen, und es wird kein Entrinnen geben. Ihr aber, Geschwister, lebt nicht in der Finsternis, und deshalb wird euch jener Tag nicht wie ein Dieb überraschen.“ Paulus weiß, dass Spekulationen über den Zeitpunkt der Wiederkunft Jesu unnütz sind, weil Jesus sich diesbezüglich klar geäußert hat.
- Petrus in 2. Petrus 3,10: „Trotzdem: Der Tag des Herrn wird kommen, und er kommt so unerwartet wie ein Dieb. An jenem Tag wird der Himmel mit gewaltigem Krachen vergehen, die Gestirne werden im Feuer verglühen, und über die Erde und alles, was auf ihr getan wurde, wird das Urteil gesprochen werden.“ Petrus ließ sich von den Spöttern in seinen Tagen nicht beirren. Auch wenn sich seine Wiederkunft wie eine Verzögerung anfühlt, eines Tages wird er kommen.
- Johannes in Offenbarung 3,3: „Erinnerst du dich nicht, wie bereitwillig du das Evangelium aufnahmst und auf seine Botschaft hörtest? Richte dich wieder nach meinem Wort und kehre um! Wenn du jedoch weiterhin schläfst, werde ich dich wie ein Dieb überraschen und zu einem Zeitpunkt kommen, an dem du nicht mit mir rechnest.“ Der geistlich schlafenden Gemeinde in Sardes wird erneut gesagt, eine Haltung an den Tag zu legen, die mit der Wiederkunft Jesu rechnet – gerade weil niemand weiß, wann es passieren wird.
Halten wir also fest, dass niemand weiß, wann Jesus wiederkommen und die Geschichte dieser Welt zu einem Abschluss bringen wird. Im Laufe der Kirchengeschichte hat es einige unrühmliche Beispiele gegeben, wo Menschen der Meinung waren, sie könnten doch voraussagen, wann Jesus wiederkommt.
Als die Jünger nach Jesu Auferstehung wissen wollten, ob denn jetzt die Zeit gekommen wäre, in der er das Reich für Israel wieder aufrichten würde, war Jesu Antwort unmissverständlich: „Es steht euch nicht zu, Zeitspannen und Zeitpunkte zu kennen, die der Vater festgelegt hat und über die er allein entscheidet“ (Apg 1,7).
Unsere Aufgabe als Nachfolger Jesu ist es, Zeuge für Jesus zu sein, in Wort und Tat, und in der sicheren Erwartung seiner Wiederkunft zu leben, ohne darüber zu spekulieren, wann das sein wird.
Aber Moment mal, magst du jetzt einwenden: Hat Jesus nicht auch von konkreten Dingen gesprochen, woran wir erkennen können, dass das Ende nahe ist? Ja, das hat er. Und das führt mich zu einem dritten Punkt:
3. Wir müssen die „Endzeittexte“ in ihrem Kontext lesen
Es gibt einen Grundsatz, der lautet, dass sich die Bedeutung eines Bibeltextes aus seinem Kontext erschließen muss. Eigentlich sollte dies selbstverständlich sein. Leider wird es nicht immer beachtet. Ich möchte das einmal an zwei Beispielen verdeutlichen: der sogenannten „Endzeitrede“ Jesu und der Offenbarung.
Die „Endzeitrede“ Jesu
Sowohl Matthäus, Markus als auch Lukas geben uns die „Endzeitrede“ Jesu auf dem Ölberg wieder, in der er über die Zerstörung des Jerusalemer Tempels spricht (Mt 24,1-28; Mk 13,1-13; Lk 21,5-28). Die Jünger staunen über diesen gewaltigen Bau, worauf Jesus ihnen sagt, dass der Tag kommt, an dem dort kein Stein mehr auf dem anderen bleibt. Daraufhin wollen die Jünger verständlicherweise wissen, wann all das passiert und woran sie dies erkennen können. Jesus spricht zunächst von allgemeinen Zeichen, wie Verführung, Kriegen, Erdbeben, Hungersnöten und Verfolgung um des Glaubens willen – also alles Dinge, die es bereits seit dem Sündenfall gab.
Doch dann wird er konkreter und sagt:
„Wenn ihr nun den Gräuel der Verwüstung, von dem durch Daniel, den Propheten, geredet ist, an heiliger Stätte stehen seht – wer es liest, der merke auf! –, dann sollen die in Judäa auf die Berge fliehen“ (Mt 24,15-16).
Lukas lässt aber den „Gräuel der Verwüstung“ aus und schreibt stattdessen:
„Wenn ihr aber Jerusalem von Heerscharen umzingelt seht, dann erkennt, dass seine Verwüstung nahe gekommen ist! Dann sollen die in Judäa auf die Berge fliehen, und die, die in seiner Mitte sind, daraus fortgehen, und die, die auf dem Land sind, nicht dort hineingehen“ (Lk 21,20-21).
Das sind konkrete Anweisungen, etwas ganz Bestimmtes zu einer ganz bestimmten Zeit zu tun. Aus der Geschichte wissen wir, dass Jesus hier von der Zerstörung Jerusalems im Jahre 70 n. Chr. durch die Römer sprach. Also gab Jesus hier konkrete Anweisungen für die erste Generation der Christen, die all das erleben würde. Der jüdische Historiker Josephus schildert in seinem Bericht von diesem dramatischen Ereignis – an dem über eine Million Juden getötet wurden, während die Christen Jesu Warnung ernst nahmen, rechtzeitig flohen und überlebten.
Zugegeben, was diese Texte so schwierig macht ist die Tatsache, dass Jesus dieses historische Ereignis aus dem 1. Jahrhundert scheinbar nahtlos mit seinem zweiten Kommen und dem Ende der Welt verknüpft. Doch dafür gibt es vernünftige Gründe. Der Neutestamentler Eckhard Schnabel erklärt beispielsweise:
„Es scheint, dass die Jünger die Prophezeiung Jesu von der Zerstörung des Tempels als Prophezeiung des von den alttestamentlichen Propheten geweissagten Endes der Welt verstanden haben. Die folgende Rede Jesu behandelt die Vorzeichen des Endes der Welt (Teil I: Mt 24,4,31) mit der Zerstörung Jerusalems als das eine konkrete ‚datierbare‘ Zeichen einer ganzen Reihe von Ereignissen. […] Nach der Beschreibung der Vorzeichen behandelt Jesus die Konsequenzen seiner Prophezeiung für seine Nachfolger (Teil II: Mt 24,32-25,30) und das Weltgericht (Teil III: Mt 25,31-46).“1
Es ist ebenfalls bei biblischer Prophetie nicht unüblich, dass mehrere Ereignisse miteinander verknüpft werden, ohne dass sie sich direkt so erfüllen. Manche vergleiche dazu nur einmal die Prophezeiung in Joel 3 mit der Deutung, die Petrus ihr an Pfingsten gab (Apg 2,17-21).
Da Jesus aber ganz konkret auf die Frage seiner Jünger einging, ihnen konkrete Anweisungen gab und wir aus der Geschichte zuverlässig wissen, dass sie sich genauso erfüllt haben, wäre es exegetisch nicht haltbar, wenn man diese Aussagen auch als Prophezeiungen auf die ferne Zukunft deuten wollte.
Die Offenbarung des Johannes
Auch bei der Offenbarung des Johannes müssen wir den Kontext berücksichtigen. Das beginnt zuerst mit der Feststellung, dass es sich bei den ersten und unmittelbaren Empfängern um Christen aus Kleinasien im 1. Jahrhundert handelte.
Die Offenbarung beginnt mit den Worten: „Offenbarung Jesu Christi, die Gott ihm gab, um seinen Knechten zu zeigen, was bald geschehen muss; […] Glückselig, der liest und die hören die Worte der Weissagung und bewahren, was in ihr geschrieben ist! Denn die Zeit ist nahe” (Offb 1,1.3).
Diese Stelle sagt uns, dass sich die Offenbarung in erster Linie an Christen richtete, die davon ausgehen konnten, dass das, was nun folgte, sich zu ihren Lebzeiten ereignen (oder zumindest anfangen zu ereignen) würde. Das wird auch am Ende der Offenbarung deutlich, wenn Johannes gesagt wird: „Und er spricht zu mir: Versiegle nicht die Worte der Weissagung dieses Buches! Denn die Zeit ist nahe” (Offb 22,10). Diese Aufforderung an Johannes, das Buch der Offenbarung nicht unter Verschluss zu halten, zeigt deutlich, dass es für seine ersten Empfänger von großer Relevanz war.
Noch deutlicher wird dies, wenn wir es mit dem alttestamentlichen Prophetenbuch Daniel vergleichen, zu dem die Offenbarung viele Parallelen aufweist.
Daniel erhielt in Bezug auf seine Visionen eine völlig andere Anweisung: „Du aber, halte die Vision geheim, denn es sind noch viele Tage bis dahin” (Dan 8,26) und „Und ich bin gekommen, um dich verstehen zu lassen, was deinem Volk am Ende der Tage widerfahren wird; denn noch gilt die Vision für ferne Tage” (Dan 10,14). Und am Ende seines Buches lesen wir: „Geh hin, Daniel! Denn die Worte sollen geheim gehalten und versiegelt sein bis zur Zeit des Endes“ (Dan 12,9). Während Daniel also unmissverständlich gesagt wurde, dass die Erfüllung seiner Visionen noch in der fernen Zukunft lag, geht der Auftrag an Johannes in der Offenbarung in das genaue Gegenteil.
Das bedeutet jedoch nicht, dass sich alles, was wir in der Offenbarung finden, bereits erfüllt hat. Spätestens wenn es um das Weltgericht, oder den neuen Himmel und die neue Erde geht (Offb 20-22), wird kaum jemand behaupten wollen, dass dies bereits eingetreten ist. Auch gehen nahezu alle Ausleger davon aus, dass die sieben Sendschreiben an die Gemeinden (Offb 1-3) wörtlich zu verstehen sind, sich direkt an Christen aus Gemeinden Kleinasiens des 1. Jahrhunderts richten und daher vor allem für sie relevant waren.
Spannend werden die Auslegungen jedoch, sobald man zu den Kapiteln 4-19 kommt; hier gehen die Sichtweisen teils stark auseinander. Während einige bereits alles im ersten Jahrhundert als erfüllt ansehen, gehen manche davon aus, dass sich diese Kapitel auf eine ganz konkrete Zeitperiode von sieben Jahren der Trübsal beziehen und uns somit einen exakten „Fahrplan” für das Ende der Welt liefern. Hierbei geht wieder ein Teil davon aus, dass die Gemeinde Jesu bereits vor diesem Zeitpunkt von der Erde „entrückt” wurde, und da diese „Entrückung“ noch nicht stattgefunden hat, müssen wir demnach auch noch vor diesen Ereignissen leben.
Was ist davon zu halten? Ich möchte einige grundlegende Gedanken äußern, die uns dabei helfen sollen, Fragen zu klären und eventuell vorhandene Sichtweisen zu überprüfen:
1. Es ist sehr wahrscheinlich, dass auch die Kapitel 4-19 für die ersten Empfänger relevant waren und sich bereits zu deren Lebzeiten erfüllten
Hierzu ein kurzes Beispiel: In Kapitel 13 geht es um das „große Tier”, dass die Gläubigen verführt und verfolgt. Es wird oftmals mit dem Antichristen in Verbindung gebracht. Aber wer oder was ist dieses „Tier”? Johannes wird eine antikes Rätsel gegeben, das zur damaligen Zeit weit verbreitet war:
„Hier ist Weisheit. Wer Verständnis hat, berechne die Zahl des Tieres! Denn es ist eines Menschen Zahl; und seine Zahl ist 666” (Offb 13,18).
Der Text macht deutlich, dass es sich hierbei um kein unlösbares Rätsel handelt, sondern dass einige der Empfänger der Offenbarung durchaus in der Lage waren, die Person hinter diesem Rätsel zu identifizieren. Im Kontext des 1. Jahrhunderts ergibt das Ganze Sinn. Wenn man aber versucht, es aus der Sicht des 20. Jahrhundert zu deuten, ist es nicht mehr plausibel. Zwar gibt es verschiedene Möglichkeiten, dieses Zahlenrätsel zu lösen, doch am meisten spricht für die Sicht, dass es sich bei dem „Tier” um Kaiser Nero handelte, der die junge Kirche stark verfolgte.2 Das schließt aber nicht aus, dass auf Nero noch viele andere Tyrannen folgen sollten, die ebenfalls die Kirche Jesu stark verfolgten.
2. Es ist nahezu ausgeschlossen, dass Offenbarung 4-19 eine exakte chronologische Abfolge beschreibt
Wenn wir versuchen würden, die Offenbarung chronologisch zu lesen, dann wäre die Geschichte bereits mit Kapitel 6 zu Ende. Achten wir einmal auf das, was passiert, als das sechste Siegel geöffnet wird:
„Und ich sah, als es das sechste Siegel öffnete: Und es geschah ein großes Erdbeben; und die Sonne wurde schwarz wie ein härener Sack, und der ganze Mond wurde wie Blut, und die Sterne des Himmels fielen auf die Erde, wie ein Feigenbaum, geschüttelt von einem starken Wind, seine Feigen abwirft. Und der Himmel schwand dahin wie ein Buch, das zusammengerollt wird, und jeder Berg und jede Insel wurden von ihrer Stelle gerückt” (Offb 6,12-14).
Was hier beschrieben wird ist nichts anderes als das buchstäbliche Ende des Kosmos! Da bleibt keine Erde mehr übrig, auf der die in Kapitel 15-16 beschriebenen Plagen kommen könnten. Deshalb ist es viel sinnvoller, die Kapitel 4-19 zyklisch zu lesen. Das bedeutet, dass die gleichen Ereignisse aus jeweils anderen Blickwinkeln und mit anderen Schwerpunkten erzählt werden.
Das würde auch die Auslegung stützen, dass die geschilderten Ereignisse sowohl für die ersten Empfänger von großer Bedeutung waren als auch, dass sie Dinge beschreiben, die die gesamte Zeit – von damals bis zur Wiederkunft Jesus – prägen (Dinge wie Verführung, Verfolgung, Kriege, usw.), weshalb die Offenbarung für alle Christen zu allen Zeiten relevant ist.
3. Wir müssen konsequent in unserer Bibelauslegung sein
Christen, die davon überzeugt sind, dass sich Offenbarung 4-19 auf konkrete sieben Trübsalsjahre beziehen, verteidigen meist (zurecht) mit allem Nachdruck auch die Historizität der Mosebücher und der Propheten des Alten Testaments. Sie tun das, weil sie Gottes Wort ernst nehmen und es für sich selbst sprechen lassen wollen. Wenn wir als bibeltreue Christen uns aber beispielsweise daran stören, dass man in der historisch-kritischen Forschung die Entstehungszeit der Mosebücher ins babylonische Exil verlegt, warum sollten wir dann diese Sichtweise in Bezug auf den Großteil der Offenbarung ändern, indem wir behaupten, dass er nur für diejenigen wirklich relevant ist, die sich während der Trübsalsjahre bekehren, während die Gemeinde bereits „entrückt” wurde?
Diese Frage führt mich zu einem nächsten Punkt.
4. Das Neue Testament sagt nur sehr wenig über die Entrückung
Ich bin in dem christlichen Kontext aufgewachsen, in dem man von einer „geheimen” Entrückung der Gemeinde und den sieben Jahren Trübsal ausging. Da konnte es schon mal vorkommen, dass man nach Hause kam und die Wohnung still und leer war – obwohl man etwas anderes erwartet hätte – dass einem sofort der Gedanke durch den Kopf schoss: „Was ist, wenn die Entrückung wirklich stattgefunden hat und ich zurückgelassen wurde?“ (Schließlich wäre das doch der letztendliche Beweis dafür, dass man doch nicht wirklich gläubig war, oder?) Für Christen, die nicht mit diesem Endzeitmodell großgeworden sind, mag sich das vielleicht lächerlich anhören, aber für mich war die Sache damals sehr ernst.
Heute bin ich davon überzeugt, dass die Bibel keine „geheime” Entrückung lehrt – also, dass die Gemeinde Jesu nicht auf einen Schlag verschwunden ist. Tatsächlich sagt die Bibel auch nur sehr wenig über die Entrückung. Im Neuen Testament gibt es nur eine einzige Stelle, die von der „Entrückung“ der Gemeinde spricht. Wir finden sie in 1. Thessalonicher 4,17:
„Danach werden wir – die Gläubigen, die zu diesem Zeitpunkt noch am Leben sind – mit ihnen zusammen in den Wolken emporgehoben, dem Herrn entgegen, und dann werden wir alle für immer bei ihm sein.”
Paulus spricht in diesem Kontext von der Wiederkunft Jesu. Damals hielt er es für möglich, dass er und seine Generation zu diesem Zeitpunkt noch am Leben sind. Der gesamte Kontext verdeutlicht jedoch, dass Paulus eben nicht von einer Entrückung ausgeht, die still und heimlich vor sich geht, sondern das genaue Gegenteil ist der Fall:
„Der Herr selbst wird vom Himmel herabkommen, ein lauter Befehl wird ertönen, und auch die Stimme eines Engelfürsten und der Schall der Posaune Gottes werden zu hören sein. Daraufhin werden zuerst die Menschen auferstehen, die im Glauben an Christus gestorben sind” (V.16).
Nach Paulus findet die Entrückung der Gemeinde zeitgleich mit dem Kommen Jesu statt, das für alle sichtbar sein wird, wie Jesus es selbst in seiner Ölbergrede gesagt hat.
Das Wort, das in 1. Thessalonicher 4,17 gebraucht wird, finden wir noch einmal in Apostelgeschichte 8,39, allerdings ist dort von der „Entrückung“ des Philippus die Rede. Und dann spricht Paulus noch davon, dass er (vermutlich in einer Vision) in den Himmel „entrückt“ wurde (2Kor 12,2-4). In den beiden zuletzt genannten Fällen ist klar, dass es sich nicht um eine endzeitliche Entrückung handelt. Ansonsten taucht das Wort harpazo („entrücken“) nur noch ein weiteres Mal auf, und zwar in Offenbarung 12,5. Und auch hier wird im Kontext deutlich, dass es sich nicht um eine endzeitliche Entrückung der Gemeinde handelt.
Man kann also sagen, dass die beliebte Lehre von der endzeitlichen Entrückung der Gemeinde nur auf einer kurzen Aussage von Paulus fußt!
5. Israels endzeitliche Hoffnung gründet allein in Jesus Christus
Als 1948 der Staat Israel gegründet wurde, hielten nicht wenige Christen dies für die Erfüllung biblischer Prophetie. Ihrer Meinung nach lehrt die Bibel, dass Israel eines Tages wieder in den alten Landesgrenzen leben wird, die im Alten Testament beschrieben sind. Für viele Christen ist das Ergehen Israels zu einer Art Gradmesser der Endzeit geworden, da Israel am Ende der Zeit die Hauptrolle in Gottes Plan spielen wird.
Ohne Zweifel sollte es für jeden Christen selbstverständlich sein, dem ethnischen Volk Israel Frieden zu wünschen. Jede Form von Antisemitismus muss für uns Christen tabu sein. Außerdem ging das Christentum aus dem Judentum hervor. Als Christen sollten wir auch politisch und historisch davon überzeugt sein, dass Israel einen rechtmäßiges Anspruch auf das Territorium im Nahen Osten hat. Aber – und hierbei handelt es sich um ein großes aber (!) – das Neue Testament lehrt auch sehr deutlich, dass das ethnische Volk Israel nicht das Gottesvolk des Neuen Bundes ist!
Einige Christen sträuben sich gegen diesen Gedanken und bezeichnen ihn abfällig als „Ersatztheologie”. So als würde man mit dieser Sicht die Meinung vertreten, dass die Gemeinde Jesu das ethnische Israel als Volk Gottes ersetzt hätte. Das ist aber nicht richtig! Israel wurde nicht ersetzt. Die Theologie des Evangeliums und die Art, wie Jesus es verkündigte und wie die Apostel es auslegten, macht deutlich, dass für die Aufnahme im Volk Gottes ethnische Zugehörigkeit schlichtweg keine Rolle mehr spielt. Das einzige, was entscheidend ist, ist der Glaube an Jesus Christus.
So schreibt Paulus, der selbst ein Jude war, den Christen in Galatien beispielsweise:
„Hier [in der Gemeinde Jesu] gibt es keinen Unterschied mehr zwischen Juden und Griechen, zwischen Sklaven und freien Menschen, zwischen Mann und Frau. Denn durch eure Verbindung mit Jesus Christus seid ihr alle zusammen ein neuer Mensch geworden. Wenn ihr aber zu Christus gehört, seid auch ihr Nachkommen Abrahams und seid damit – entsprechend der Zusage, die Gott ihm gegeben hat – Abrahams rechtmäßige Erben” (Gal 3,28-29).
Hier werden Unterschiede nicht einfach weggewischt; ein Jude bleibt noch immer ein Jude, und ein Grieche bleibt ein Grieche. Aber was die Aufnahme in Gottes Volk betrifft, ist ihre Zugehörigkeit nicht länger ein Entscheidungskriterium. Am Ende seines Galaterbriefes bezeichnet der Apostel die Gemeinde Jesu – bestehend aus Juden und Nicht-Juden – sogar als das „wahre Israel Gottes”:
„Worauf es nämlich ankommt, ist weder Beschnittensein [d.h. ein Jude zu sein] noch Unbeschnittensein. Entscheidend ist nur eins: ein neues Geschöpf zu sein. Allen, die sich an diesen Grundsatz halten, schenke Gott seinen Frieden und sein Erbarmen; sie sind das wahre Israel Gottes” (Gal 6,15-16).
Deutlicher kann man es nicht ausdrücken. Doch damit nicht genug. Paulus musste, angesichts der raschen Ausbreitung des Christentums, die Frage klären, wie es denn nun um das ethnische Israel und Gottes Verheißungen an diese Nation stand. Diese Frage klärte er in den Kapiteln 9-11 seines Römerbriefs.
Dort lehrt Paulus ganz klar, dass das alttestamentliche Gesetz letztendlich auf Christus hinweist:
„Denn mit Christus ist das Ziel erreicht, um das es im Gesetz geht: Jeder, der an ihn glaubt, wird für gerecht erklärt” (Röm 10,4).
Da jedoch ein Großteil der Juden Jesus als Messias ablehnte, stellte sich die Frage, ob Gott Israel verstoßen hatte. Paulus verneint dies: „Hat Gott sein Volk etwa verstoßen? Niemals! Ich bin ja selbst ein Israelit, ein Nachkomme Abrahams aus dem Stamm Benjamin” (Röm 11,1). Die Tatsache, dass Paulus und viele andere Juden Jesus als den Messias erkannten, ist für Paulus der Beweis, dass Gott die Juden eben nicht völlig abgeschrieben hatte.
Der Apostel weiß, dass ein Großteil seiner Landsleute verstockt sind und sich weigern, an das Evangelium zu glauben, während andere Völker Christus bereitwillig annehmen. Aber er ist auch davon überzeugt, dass das nicht das letzte Wort ist.
„Ich möchte euch, liebe Geschwister, über das Geheimnis der Absichten Gottes mit Israel nicht im Unklaren lassen, damit ihr nicht in vermeintlicher Klugheit aus der gegenwärtigen Verhärtung Israels falsche Schlüsse zieht. Es stimmt, dass ein Teil von Israel sich verhärtet hat, aber das wird nur so lange dauern, bis die volle Zahl von Menschen aus anderen Völkern zum Glauben gekommen ist. Wenn diese Voraussetzung erfüllt ist, wird ganz Israel gerettet werden. Es heißt ja in der Schrift: ‚Aus Zion wird der Retter kommen, der die Nachkommen Jakobs von all ihrer Gottlosigkeit befreien wird. Denn das ist der Bund, den ich mit ihnen schließen werde, sagt der Herr: Ich werde ihnen die Last ihrer Sünden abnehmen.’” (Röm 11,25-27).
Paulus weiß also, dass es eine Art Erweckung unter den Juden geben wird. Und doch muss sich auch in Zukunft Israels Hoffnung allein auf Christus konzentrieren, um mit Gott versöhnt zu sein. Das macht das Neue Testament auf jeder Seite deutlich. Jesus und die Apostel stellen weder in Aussicht, dass Israel eines Tages wieder friedliche Tage im Land erleben wird, wie sie unter König David oder Salomo der Fall waren, noch sprechen sie davon, dass auf die Zerstörung des Tempels in Jerusalem ein neuer Tempel folgen soll.
Unsere Verantwortung liegt darin, dass wir für Israel beten; für Frieden im Nahen Osten, doch vor allem dafür, dass die Menschen dort, Juden und Palästinenser Jesus Christus als ihren Retter erkennen.
6. Es gab schon immer unterschiedliche Auslegungen bezüglich des Tausendjährigen Reiches
Ein besonders beliebtes Diskussionsthema bezüglich der Endzeit unter Christen sind Auslegungen über das sogenannte Tausendjährige Reich, auch Millennium genannt. Davon lesen wir ausschließlich in Offenbarung 20, wo es heißt:
„Nun sah ich einen Engel vom Himmel herabkommen, der den Schlüssel zum Abgrund hatte und eine große Kette in der Hand hielt. Er packte den Drachen, die Schlange der Urzeit, die auch Teufel oder Satan genannt wird, fesselte ihn und warf ihn für tausend Jahre in den Abgrund. Den Eingang zum Abgrund verschloss und versiegelte er, sodass der Satan die Völker nicht mehr verführen konnte, bis die tausend Jahre vorüber waren. Danach – so ist es von Gott bestimmt – wird er nochmals für kurze Zeit freigelassen werden” (Offb 20,1-3).
Fest steht, dass es eine Zeit geben wird, in der Satan die Völker der Erde nicht mehr verführen kann, so wie es ihm zuvor möglich gewesen ist. Nach Ablauf der tausend Jahre wird er freigelassen, um einen letzten Aufstand gegen Gott zu führen. Bei diesem Aufstand wird er endgültig besiegt und gerichtet, und alle, die sich seiner Rebellion angeschlossen haben, mit ihm.
Im Laufe der Kirchengeschichte wurde dieses Tausendjährige Reich unterschiedlich verstanden. Dabei haben sich drei große Hauptströmungen innerhalb der bibeltreuen Christenheit herauskristallisiert:
1. Das Tausendjährige Reich kommt noch
Diese Auslegung sieht in dem Millennium ein zukünftiges Reich, das erst nach der Wiederkunft Jesu erscheint und sozusagen ein Vorgeschmack auf den neuen Himmel und die neue Erde (die Ewigkeit) sein wird. Die tausend Jahre werden meistens wörtlich verstanden.
2. Wir befinden uns bereits in einem geistlichen Tausendjährigen Reich
Diese Auslegung sieht in dem Millennium ein geistliches Reich, das mit dem ersten Kommen Jesu angebrochen ist und bis zu seiner Wiederkunft andauert. Die tausend Jahre werden symbolisch gedeutet. Dass Satan gebunden wird, versteht man in Bezug auf die Ausbreitung des Evangeliums, die Satan nicht mehr verhindern kann, sodass die Völker, die vorher unter seinem Einfluss standen, sich nun zu Christus bekehren (vgl. Lk 10,17-24).
3. Wir befinden uns bereits in einem irdischen Tausendjährigen Reich
Diese Auslegung sieht in dem Millennium ein geistliches und ein irdisches Reich, das mit dem ersten Kommen Jesu anbrach und bis zu seiner Wiederkunft andauert. Die tausend Jahre werden symbolisch gedeutet. Der Unterschied zur zweiten Variante ist, dass Vertreter dieser Position davon überzeugt sind, dass die Verbreitung des Evangeliums nicht nur geistliche Spuren hinterlässt, sondern sich auch positiv auf die Gesellschaft auswirkt. Diese Auslegung ist die positivste, wird aber vor allem im nordamerikanischen Raum vertreten.
Alle drei Auslegungsvarianten werden mit Bibeltexten begründet und werden auch bis heute von bibeltreuen und gewissenhaften Christen und teils sehr guten Auslegern vertreten. Entscheidend ist, dass unterschiedliche Meinungen in dieser Frage niemals zu Uneinigkeit unter Christen führen darf. Persönlich gefällt mir Variante 3 zwar am besten, von der Argumentation her halte ich aber Variante 2 am wahrscheinlichsten. Allerdings wäre es für mich auch kein Problem, wenn ich mich in meinen Ansichten irre und sich herausstellt, dass die Vertreter der ersten Auslegung Recht hatten.
In einem Punkt sind sich alle wahren Christen doch einig: Unser Herr Jesus Christus ist der Herr über die Welt und über die Geschichte. Das ist die wichtigste Überzeugung, die Christen hinsichtlich der Endzeit vertreten sollten:
7. Jesus Christus ist der Herr der Welt und der Geschichte
Bei all den schlechten Nachrichten in dieser Welt und den teilweise schwierigen und auch düsteren Bibelstellen hinsichtlich der Endzeit sollten wir nicht die Tatsache aus den Augen verlieren, dass Jesus Christus diese Welt regiert und alles nach seinem Plan führt. Die Bibel kennt kein dualistisches Weltbild, bei dem die gottesfeindlichen Mächte eine ernstzunehmende Konkurrenz darstellten.
Unmittelbar vor seiner Himmelfahrt gab Jesus seinen Jüngern eine mutmachende Verheißung mit auf den Weg. Er sagte:
„Mir ist alle Macht im Himmel und auf der Erde gegeben. Darum geht zu allen Völkern und macht die Menschen zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe. Und seid gewiss: Ich bin jeden Tag bei euch, bis zum Ende der Welt” (Mt 28,18-20).
Mit Jesu erstem Kommen und Wirken brach die „Endzeit” an – und er versichert uns, dass er alles, was innerhalb dieser Zeit passiert, unter seiner Kontrolle hat. Deshalb dürfen und müssen wir unsere Zeit nutzen, um diese frohe Botschaft von der Erlösung in Jesus und der Herrschaft von Jesus weiterzusagen. Wir dürfen hoffnungsvolle Zeugen für Jesus zu sein, die sich seiner ständigen Gegenwart immer bewusst sind.
Angesichts dessen sollte uns der Gedanke an die Endzeit fröhlich stimmen und uns motivieren, anstatt uns zu deprimieren oder uns im Glauben passiv werden lassen.
- Eckhard Schnabel, Das Neue Testament und die Endzeit, Brunnen: Gießen, 2013, S. 48-49. ↩︎
- Eine schlüssige Erklärung dieser These und andere alternative Deutungen finden sich bei Schnabel Das Neue Testament und die Endzeit. ↩︎