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Und wenn wir mutwillig sündigen?

Denn wenn wir mutwillig sündigen, nachdem wir die Erkenntnis der Wahrheit empfangen haben, bleibt kein Schlachtopfer für Sünden mehr übrig, sondern ein furchtbares Erwarten des Gerichts und der Eifer eines Feuers, das die Widersacher verzehren wird.

Hebräer 10,26

Diese Bibelstelle (und eine weitere in Hebräer 6,4-8) erweckt leicht den Eindruck, dass ein Mensch, der bereits durch den rettenden Glauben in Christus erlöst wurde, diese Erlösung wieder verlieren kann, weil er leichtfertig oder in einer bestimmten Weise sündigt. Allerdings gibt uns der Gesamtkontext dieser Stelle deutliche Hinweise , dass dies nicht die Aussage dieser Stelle des Hebräerbriefs ist.

Die Frage ist also: lehrt diese Bibelstelle die Verlierbarkeit des Heils und wenn nicht, was ist dann die wahre Bedeutung dieser Stelle – insbesondere der Formulierung „mutwillig sündigen“?

Zuerst einmal muss gesagt werden, dass jedes Sündigen grundsätzlich ein Willensakt ist. Daher müssen wir genauer untersuchen, welches Verhalten in Bezug auf die Sünde hier genau gemeint ist. Die Neue Genfer Übersetzung übersetzt diesen Vers „Wenn wir nämlich, nachdem Gott uns die Wahrheit hat erkennen lassen, vorsätzlich und fortgesetzt sündigen …“ Im griechischen Text steht das Wort hekousios, wo unsere Bibeln „mutwillig“, „vorsätzlich“ oder „absichtlich“ übersetzen. Hekousios finden wir auch in 1. Petrus 5,6 in folgendem Zusammenhang: „Hütet die Herde Gottes, die bei euch ist, nicht aus Zwang, sondern freiwillig (hekousios), Gott gemäß, auch nicht aus schändlicher Gewinnsucht, sondern bereitwillig.“ Dieser Vers spricht davon, dass man auf zwei verschiedene Weisen „willentlich“ handeln kann: „freiwillig“ oder „bereitwillig“ und „aus Zwang“. In beiden Fällen ist das Hüten der Herde Gottes durch die Ältesten ein Willensakt. Aber in dem einen Fall ist ein hingegebenes, von Herzen kommendes und freudiges Hüten gemeint, während der andere Fall eher ein halbherziges und teils widerstrebendes Hüten meint. 

In Bezug auf das Sündigen müssen wir uns eingestehen, dass bei jeder unserer sündigen Handlungen auch unser Wille aktiv ist – doch nicht jede Form des Sündigens hat dieses schreckliche Gericht zufolge, von dem Hebräer 10,26 spricht. Dieser Vers spricht von einem Sündigen, das von Herzen kommend, bei dem der Mensch mit aller Leidenschaft der Sünde nachgeht und in ihm nichts existiert, das ihn davon abhalten könnte. Deshalb ist die Neue Genfer Übersetzung hilfreich, wenn sie hekousios mit „vorsätzlich und fortgesetzt sündigen“ wiedergibt, denn es handelt sich dabei nicht um jemanden, der „in Sünde fällt“ oder „der Sünde nachgibt“ und kurz darauf wünscht, es wäre nie geschehen, weil er weiß, dass es falsch war. Es ist ein gewohnheitsmäßiger, leichtfertiger und gewissenloser Umgang mit Sünde. 

Was diese Sünde so schlimm macht, sodass „kein Sündopfer“ mehr übrig bleibt, sondern „ein furchtbares Erwarten des Gerichts“, ist nicht einfach „nur“ dass es sich dabei um eine Sünde handelt, sondern dass es aus einem Herzen heraus geschieht, das die Sünde nicht als verabscheuenswert ansieht und das die Sünde nicht hasst. Dieser Vers soll uns zeigen, wie schrecklich die Sünde ist – und die vorhergehenden und nachfolgenden Verse zeigen dies besonders deutlich. Unser Vers (26) beginnt mit einem „Denn“, was uns zeigt, dass der Schreiber sich auf etwas bezieht, das er unmittelbar davor geschrieben hat: „lasst uns aufeinander achthaben und einander anspornen zur Liebe und zu guten Werken und nicht verlassen unsere Versammlung, wie einige zu tun pflegen, sondern einander ermahnen, und das umso mehr, als ihr seht, dass sich der Tag naht“ (Hebr 10,24-25). Was in diesen Versen darauf folgt (V. 26) ist eine deutliche Warnung an einen Menschen, der dabei ist, die Gemeinde Jesu zu verlassen.  Denn nach Vers 26 (insbesondere in V. 29) wird deutlich, dass die Sünde, von der hier die Rede ist, so tiefgreifend und wesentlich ist, als habe der, der sie begeht, „den Sohn Gottes mit Füßen getreten und das Blut des Bundes, durch das er geheiligt wurde, für gemein erachtet und den Geist der Gnade geschmäht“. Und genau diese Formulierung „das Blut des Bundes, durch das er geheiligt wurde“ erweckt den Eindruck, als handle es sich dabei um einen Christen, der sein Heil verloren hätte. Allerdings liefert mir bereits der Hebräerbrief zwei sehr gute Gründe, warum es unmöglich sein kann, dass ein bereits erretteter Christ wieder verloren geht:

„Denn mit einem Opfer hat er die, die geheiligt werden, für immer vollkommen gemacht“ (Hebr 10,14). Es gibt also ein „geheiligt werden“, das „für immer“, für alle Ewigkeit gilt! Wer wirklich in Christus, durch Sein Opfer, „geheiligt“ ist, ist es ein für alle Mal und das kann niemals widerrufen werden.

„Denn wir sind Teilhaber des Christus geworden, wenn wir die anfängliche Grundlage bis zum Ende standhaft festhalten“ (Hebr 3,14). Der Vers sagt nicht: „Wir werden Teilhaber Christi, wenn wir bis zum Ende standhaft festhalten“, sondern: „Wir sind Teilhaber Christi …“, was bedeutet, dass jemand, der nicht bis zum Ende standhaft festhält (wie es bei unserem Fallbeispiel in Vers 26 und Hebr 6,4ff. der Fall wäre), niemals ein „Teilhaber Christi“ war. Das ist die eindeutige Aussage dieses Verses.

Wenn Hebräer 10,29 davon spricht, dass jemand „durch das Blut des Bundes … geheiligt wurde“ und danach Christus ablehnt, dann hat sich dieser Mensch zwar zu Christus bekannt und von sich behauptet, durch das Blut Christi geheiligt zu sein; er hatte ein religiöses Interesse und wurde aufgrund seines Bekenntnisses und des äußeren Anschein nach zur Gemeinde Jesu hinzugerechnet. Allerdings ist er niemals wirklich zum wahren rettenden Glauben an Christus gelangt – zu dem Glauben, der uns mit Christus vereint, der mit einer Erneuerung des Herzens einhergeht und der uns zu Teilhabern der Erlösung in Christus macht.

Zusammengefasst kann gesagt werden: Es gibt (auch außerhalb des Hebräerbriefs) sehr eindeutige biblische Aussagen, dass ein Mensch, der wirklich in Christus erlöst ist, diese Erlösung niemals verlieren kann. Und ja, es gibt ein gewohnheitsmäßiges, leichtfertiges und gewissenloses Sündigen, das aber ein wahrer Gläubiger in dieser Weise niemals begehen wird.

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John Piper

John Piper ist Gründer und Lehrer von Desiringgod.org. Außerdem war er 33 Jahre lang Pastor der Bethlehem Baptist Church in Minneapolis.

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