der Gläubige als Glied am Leib Christi
„Denn wie der Leib einer ist und viele Glieder hat, alle Glieder des Leibes aber, obwohl viele, ein Leib sind: so auch der Christus“ (1Kor 12,12).
Paulus benutzt dieses Bild vom Leib Christi, um den Korinthern – und letztlich auch uns – die Wichtigkeit des Dienstes eines jeden Christen in der Gemeinde zu verdeutlichen. Paulus ist es nie nur darum gegangen, Menschen zu Christen zu machen, die eine Wiedergeburt erlebt haben, die von ihrem alten Leben umgekehrt sind, die sich haben taufen lassen und vom Geist Gottes erfüllt wurden – und dann einfach nur Gemeindeglieder waren. Ihm ging es darum, Menschen dem Auftrag Jesu gemäß zu „Jüngern“ zu machen (vgl. Mt 28,19).
Es geht dem Apostel um das Verhältnis der einzelnen Christen untereinander. Dabei spricht er auch Missverständnisse bezüglich der Geistesgaben an.
1. Ein Leib
In Vers 12 führt Paulus zunächst das Bild vom Leib ein. Unser natürlicher „Leib“ ist „einer“ und hat doch er „viele Glieder“. Aber trotz aller Unterschiedlichkeit, die ganz objektiv notwendig ist, damit der Leib funktionieren kann, ist der Leib doch eine Einheit, ist „eins“.
Paulus wendet dieses Bild nun auf die Gemeinde an. Die Einheit der Gemeinde, ist in Jesus Christus begründet (vgl. 1Kor 12,12-14). Das ist die Grundlage, auf der alle weiteren Ausführungen basieren. In Christus sind wir als Gemeinde „ein Leib“, weil wir Sein Leib sind. Ein paar Gedanken dazu:
- Jeder Christ gehört zum Leib Christi. Glied am Leib Christi zu sein, ist kein Privileg besonders besonders begabter Christen und auch kein Privileg der sogenannten Vollzeitler.
- Allein durch das sühnende und versöhnende Werk Christi auf Golgatha werden wir zu Gliedern an Seinem Leib.
- Es gehört zu den besonderen Aufgaben des Heiligen Geistes, uns in den Leib Christi einzugliedern.
- Der Geist Gottes weist jedem Christen seine Gabe souverän zu und zwar wie er es für richtig hält. Diese Gabe soll „zum Nutzen aller“ sein (1Kor 12,7).
- Die Einheit des Leibes Christi ist eine tatsächlich vorhandene Einheit, weil Christus eins ist (vgl. 1Kor 12,12). Er ist nicht geteilt, und deshalb kann es seine Gemeinde in letzter Konsequenz auch nicht sein.
- Einheit bedeutet nicht Gleichmacherei oder Uniformität. Gott, der Schöpfer, ist sehr kreativ. Er liebt die Vielfalt und hat entsprechend auch die Glieder der Gemeinde Jesu sehr unterschiedlich geschaffen, begabt und eingesetzt.
2. Viele Glieder
Paulus geht nun in dem Hauptteil unseres Textes auf die Struktur des Leibes ein. Dabei klärt er immer wieder auch das Verhältnis der einzelnen Glieder zueinander. Er zeigt einerseits auf, wie Gott es sich im Einzelnen gedacht hat und was andererseits menschliche Missverständnisse sind. Paulus zählt drei Missverständnisse auf:
Meine Gabe ist nicht wichtig
Das erste Missverständnis finden wir in Vers 15-16. Der Fuß sagt: „Ich bin keine Hand und deshalb auch kein Glied am Leib. “ Und das Ohr sagt: „Ich bin kein Auge und deshalb auch kein Glied am Leib.“ Ist das wahr? Nein! Natürlich nicht.
Das Problem ist hier das Nichtakzeptieren der eigenen Gaben. Es geht um Christen, die nicht mit ihren Gaben zufrieden sind, sondern gern die Gaben anderer hätten. Möglicherweise sind es gerade Geschwister, die einen ähnlichen Dienst tun wie ich[1], auf die ich neidisch blicke. Ich fühle mich minderwertig, ich komme mir nutzlos vor. Ein paar Beispiele: Der eine möchte vielleicht gern auch so kraftvoll und dynamisch predigen können wie Pastor X. Ein anderer möchte vielleicht gerne gastfreundlich sein können, wie das Ehepaar Z, bei denen man sich sofort wohl fühlt.
Sind das nicht alles gute und erstrebenswerte Gaben? Natürlich sind es gute Gaben, weil sie von Gott kommen. Aber dieses Verhalten ist trotzdem nicht richtig. Gott möchte, dass wir in den Gaben dienen, die Er uns gegeben hat. Sich ständig nach anderen Gaben ausstrecken und die von Gott gegebenen dabei geringachten, ist letztlich falsche Demut. Paulus sagt: „Sind alle Apostel, sind alle Propheten …“ (1Kor 12,29-30)?
Nein! Ich muss nicht ein großer Prediger oder machtvoller Prophet sein, um Gott in seiner Gemeinde vollwertig dienen zu können. Vielleicht hat Gott mir die Gabe des Gebetes geschenkt, sodass es mir viel leichter als anderen Christen fällt, langanhaltend und mit großem Glauben für bestimmte Anliegen zu beten. Meist ist das ein sehr unscheinbarer Dienst, der in der Regel völlig im Verborgenen geschieht. Aber was wäre unsere Gemeinde ohne diese treuen Beter? Natürlich gehört es zum geistlichen Leben eines jeden Christen zu beten. Dennoch bin ich froh um die vielen Geschwister, die weitaus mehr Zeit im Gebet verbringen als ich und somit vielen Diensten in der Gemeinde gewissermaßen geistlich den Rücken freihalten.
Deshalb lautet auch Paulus’ Antwort: Sei zufrieden, mit dem, was Gott dir gegeben hat. Hadere nicht mit Gott und mache Ihm keine Vorwürfe. Denn Er hat dich so begabt, dich „als Glied eingesetzt“, „wie Er gewollt hat“ (1Kor 12,18). Freue dich also darüber, wie dich dein liebender Vater gemacht hat und diene Ihm mit dem, was Er dir anvertraut hat.
Es braucht nur die eine wichtige Gabe
In Vers 17 spricht Paulus das zweite Missverständnis an. Paulus fragt: „Wenn der ganze Leib Auge wäre, wo bliebe das Gehör? Wenn er ganz Gehör wäre, wo blieb der Geruch?“ In dem Moment, wo jeder die gleiche Gabe hätte, würde gleichzeitig sehr viel anderes – und vor allem genauso notwendiges – auf der Strecke bleiben. Deshalb setzt Paulus auch hier ein klares „Nein!“
Dieser Gedanke knüpft von der Argumentation her an das erste Missverständnis an. Paulus formuliert gewissermaßen den Extremfall: Wenn alle Glieder ihre eigenen Gaben nicht mehr akzeptieren wollten und gleichzeitig alle „Auge“ sein wollten, bestünde der Leib nur noch aus „Auge“ – und vieles andere würde fehlen.
Aber Paulus spricht auch den umgekehrten Fall an: Er redet von Christen, die der Überzeugung sind, dass ihre Gabe, ihr Dienst eigentlich der wichtigste ist. Ihr Problem ist: Meine Gabe über alles! „Wenn denn nur alle Christen so begabt wären wie ich, dann hätten wir großes Gemeindewachstum, dann gäbe es endlich die langersehnte Erweckung, dann gäbe es all die Probleme in der Gemeinde nicht mehr.“ Ich übertreibe bewusst, um das Problem deutlich zu machen. Ein konkretes Beispiel soll dieses Missverständnis ein wenig erläutern:
Du pflegst den Kontakt zu vielen Ungläubigen und bringst dabei deinen Glauben immer wieder zur Sprache, lädst sie zu evangelistischen Gottesdiensten oder auch zum Hauskreis ein – und so kommt es immer wieder vor, dass sich Menschen bekehren. Nun kommt eines Tages ein großer Evangelist in die Gemeinde und predigt: „Jeder Christ – ein Evangelist“, und erklärt, dass es völlig normal sei, wenn sich praktisch täglich in Gesprächen Ungläubige bekehren. Aber selbst, wenn sich keiner bekehrt, ein evangelistisches Gespräch pro Tag sei doch das mindeste. Die meisten Zuhörer dieser Predigt fühlen sich völlig unwohl, möchten am liebsten im Boden versinken, und auch die, die bislang evangelistisch tätig waren, fragen sich in ihrem Innersten, was sie wohl bisher falsch gemacht haben.
Nun ist es natürlich unbestritten, dass tatsächlich jeder Christ dazu aufgerufen ist, von seinem Glauben zu erzählen, ihn weiterzugeben – also in einem allgemeinen Sinne zu evangelisieren. Aber es ist andererseits genauso klar, dass lange nicht jeder Christ im engeren Sinne ein „Evangelist“ ist. Paulus fragt: „Sind alle Apostel, sind alle Propheten …“ (1Kor 12,29-30)? Und wir könnten nahtlos ergänzen: „Sind alle Evangelisten?“ Nein! Auch Evangelist-Sein ist nur ein Dienst unter anderen (vgl. Eph 4,11). Man könnte in Anlehnung an die Verse 29-30 sagen: Nicht jeder muss „Evangelist“ sein, um vollwertiges Glied am Leibe Christi zu sein. Wenn tatsächlich alle (nur) Evangelisten wären, würden sehr viele und eben auch völlig unverzichtbare Gaben und Dienste fehlen.
Letztlich ist die hier von Paulus angesprochene falsche Haltung wiederum eine Anklage gegen Gott: „Warum hast Du so viele Geschwister nicht so begabt wie mich. Das wäre doch das allerbeste gewesen.“ – Dabei geschieht dieses Anklagen in der Regel eher unbewusst. Ich vermute, dass dies auch bei dem oben zitierten Evangelisten der Fall ist. – Und auch hier ist die Antwort des Paulus: „Gott hat es so festgesetzt, Er hat es so gewollt“ (V. 18). Und Er weiß sicher besser als wir, was gut und notwendig ist.
Ich brauche die anderen Gaben nicht
Das dritte Missverständnis finden wir in Vers 21: „Das Auge kann nicht sagen zu der Hand: Ich brauche dich nicht; oder auch das Haupt zu den Füßen: Ich brauche euch nicht.“ Das Problem, das Paulus hier anspricht, ist: Ich bin mir selbst genug. Ich brauche meine Geschwister eigentlich nicht. Stichwort: Einzelchristentum. Auch das ist letztlich eine Haltung des Hochmutes. Auch hier antwortet Paulus: „Sind alle Apostel, sind alle Propheten …“ (1Kor 12,29-30)? Nein! Ich bin vieles nicht, ich habe vieles nicht! Ich bin deshalb auf die anderen Geschwister angewiesen – gerade auf die, die in meinen Augen „schwächere Glieder“ sind.
So kommt Paulus zum Schluss dieses Abschnittes in ganz besonderer Weise auf das Verhältnis der Glieder untereinander zu sprechen (V. 22-25) und schlussfolgert: „Dem geringeren Glied gebührt größere Ehre“ (1Kor 12,24). Er redet davon, dass die Glieder, die uns „schwach zu sein scheinen“, besonders „nötig“ sind, die, die „weniger ehrbar zu sein scheinen, umkleiden wir mit besonderer Ehre“ und bei den (scheinbar) „unanständigen“[2] achten wir besonders auf „Wohlanständigkeit“.
Was sind das nun für „Glieder“, von denen Paulus hier spricht? Einer sieht vielleicht den Gebetsdienst mit solchen Augen, frei nach dem Motto: „So ein bisschen beten ist doch nichts Besonderes.“ – Ich übertreibe wieder bewusst. – Aber bei Lichte besehen ist der Gebetsdienst bestenfalls scheinbar ein schwacher Dienst, denn mit dem Schöpfer Himmels und der Erden zu reden, mit dem himmlischen Vater zu sprechen, ist keinesfalls „schwach“ – schwach sind allenfalls unsere menschlichen Worte.
Für einen anderen ist vielleicht der Putzdienst ein „weniger ehrbarer“ Dienst. Aber ist das tatsächlich so? Was würde es uns nützen, wenn wir zwar in unserem Gemeindezentrum viele Veranstaltungen haben, im Dreck aber versinken? So ist gerade auch dieser Dienst besonders „nötig“. In den Augen mancher ist vielleicht Evangelisation auf der Reeperbahn „unanständig“. Aber gerade diese Geschwister brauchen die besondere Rückenstärkung der Gemeinde Jesu. Sie gehen in ganz besonderer Art an die „Hecken und Zäune“ (vgl. Lk 14,23) und tun damit einen Dienst, der wirklich „nötig“ ist.
Wenn wir die Schwachen besonders ehren, tun wir eigentlich nur das, was Gott tut: dem „geringeren Glied größere Ehre geben“ (1Kor 12,24). Dies entspricht völlig dem Prinzip Gottes, der die „Törichten“, die „Schwachen vor der Welt“, die „Geringen“ und „Verachteten“ erwählt (vgl. z.B. 1Kor 1,26-29). Auch das Ziel dieser besonderen Anordnung benennt Paulus ganz klar: Erstens damit „im Leib keine Spaltung sein“ und zweitens damit „die Glieder in gleicher Weise füreinander sorgen“. Das leuchtet auch ein: Wenn sich manche als besonders stark und kräftig sehen und gleichzeitig andere Geschwister nur als schwach ansehen, dann ist Spaltung in der Gemeinde praktisch vorprogrammiert. Aber dazu soll es nicht kommen, vielmehr ist ein gegenseitiges Geben und Nehmen bei gleichzeitiger Achtung des anderen und seines Dienstes der Normzustand für eine Gemeinde.
3. Ein Leib Christi
Gegen Ende des Textes kommt Paulus noch einmal auf das Anfangsthema zu sprechen: Die Gemeinde ist „ein Leib“ – und das hat Konsequenzen!
„Wenn ein Glied leidet, leiden alle Glieder“ (1Kor 12,26a) – ist das verwunderlich? Nein, denn auch in unserem menschlichen Körper ist es nicht anders. Wenn jemand Kopfschmerzen hat, ist davon die ganze Person mehr oder weniger betroffen. Solange, wie Christen einem der drei oben genannten Missverständnisse erliegen, kann der Leib nicht funktionieren – und alle leiden darunter. Wenn aber nun umgekehrt „ein Glied geehrt wird, freuen sich alle Glieder“ (V. 26b). Wer seinen Gaben gemäß dient, braucht sich nicht mehr zu ärgern über das, was er alles nicht kann – er hat Freude bei seinem Dienst. Und wer die Gaben und Dienste der anderen achtet und sich seiner Ergänzungsbedürftigkeit bewusst ist, auch der wird letztendlich Freude haben und weitergeben. Den vermeintlich Schwächeren zu ehren, indem man ihm einfach „Danke!“ sagt für seinen Dienst, bringt viel Freude mit sich – für beide Seiten.
In Vers 27 formuliert Paulus noch einmal ausdrücklich, dass die Gemeinde in Korinth „Leib Christi“ ist – und „jeder von euch ein Glied“. Dabei ist sie nicht der Leib Christi, als ob es die einzige Gemeinde auf Erden wäre. Das führt uns zu einem letzten Gedanken: Die Gemeinde in Korinth ist (ein) Leib Christi und als solches aber gleichzeitig Glied am weltweiten Leib Christi, Teil der weltweiten Gemeinde Jesu.
Nun ist es klar, dass jede einzelne Gemeinde bestimmte Dienste auf jeden Fall haben muss (z.B. Evangelisation, biblische Lehre, Gebet, Lobpreis …), daneben ist es aber völlig in Ordnung, dass jede Gemeinde gemäß den vorhandenen Gaben auch bestimmte Schwerpunkte in ihrer Arbeit hat und somit letztlich auch anderen Gemeinden, sprich dem gesamten Leib Christi dient. So können wir uns an dem Ort, an den Gott uns gestellt hat, entsprechend einbringen und uns gleichzeitig an dem freuen, was Gott den anderen Gemeinden gegeben hat und durch sie tut.
Zusammenfassung
Zum Schluss möchte ich ein paar wesentliche Gedanken in kurzen Stichworten wiederholen:
- Gaben und Aufgaben sind untrennbar miteinander verbunden.
- Wir sind aufgefordert, die Verteilung der Gaben durch Gott zu akzeptieren.
- Jeder ist nötig, aber an seinem Platz.
- Jeder hat etwas, keiner hat alles.
[1] „Fuß“ und „Hand“ sind beides Gliedmaßen; „Ohr“ und „Auge“ sind beides Sinnesorgane.
[2] Wahrscheinlich spielt Paulus hier auf die Geschlechtsorgane an. Das Wort „unanständig“ kommt nur hier im NT vor.
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