Den Wert der Ehe neu entdecken
Seit Jahrhunderten ringt die Gemeinde Jesu um das richtige Maß, wenn es um den Umgang mit den Kulturen geht. Gemessen an der Bücherflut zu diesem Thema ist es nur wahrscheinlich, dass uns diese Frage noch lange beschäftigen wird. Und das ist nicht unbedingt schlecht. Es gehört zum Wesen unserer „Pilgerschaft“, dass wir nicht alles wissen. Als Christen bekennen wir, dass wir unterwegs sind zu einem bestimmten Ort und dass wir diesen noch nicht erreicht haben.
Diese Frage nach dem Umgang der Gemeinde mit der Kultur tritt insbesondere bei dem Thema Ehe in den Vordergrund. Der Grund ist, dass die Gemeinde kein Monopol auf die Ehe hat. Christen wie Nicht-Christen essen und trinken, heiraten und werden verheiratet (vgl. Mt 24,28). Die Ehe ist Teil unserer Kultur und nicht etwas spezifisch christliches. Die Ehe begann vor dem Sündenfall und wird deshalb mit dem Sabbat und der Arbeit zur Schöpfungsordnung gezählt. James F. White bringt es in seiner Beschreibung eines christlichen Traugottesdienstes auf den Punkt:
„Nur wenige Anlässe sind fröhlicher als eine Hochzeit. Dennoch war die Herangehensweise der Gemeinde an eine Hochzeit eher verhalten und gefeiert wurde mehr außerhalb als innerhalb der Gemeinderäume. Selbst jetzt ist die Hochzeitszeremonie eine merkwürdige Mischung von christlichen und weltlichen Elementen. Liturgische Sprache vermischt sich mit juristischem Jargon. Der Pastor fungiert [in vielen Ländern] sowohl als Prediger wie auch als Staatsdiener und ist sowohl der Kirchenordnung als auch dem zivilen Recht untertan. Christliche Hochzeiten sind eine merkwürdige Kombination von Christus und der Kultur.“
Johannes Calvin argumentiert ähnlich in seiner Polemik gegen die Vorstellung der Ehe als Sakrament, wenn er sie den gewöhnlichen Berufungen des Lebens gegenüberstellt:
„Gewiss, der Ehestand ist eine gute und heilige Ordnung Gottes; aber auch der Ackerbau, das Häuserbauen, das Schuster- und Barbierhandwerk sind rechtmäßige Ordnungen Gottes und trotzdem keine Sakramente.“
All dies hilft uns zu verstehen, warum Nicht-Christen gute, gesunde, starke, kulturprägende und der Gesellschaft dienliche Ehen führen können. Wer dies leugnet, muss auch leugnen, dass Menschen außerhalb der Gemeinde fähig sind, gute, gesunde, starke, kulturprägende und der Gesellschaft dienliche Berufe auszuüben.
Die allgemeine Kritik an der zeitgenössischen westlichen Ehe beinhaltet oft die Erkenntnis, dass sie zu sentimental gesehen wird. Im Licht von Calvins Aussage frage ich mich, ob die Gemeinde die Ehe zu sehr vergeistlicht hat. Damit will ich nicht sagen, dass es keine christliche Ethik bezüglich der Ehe gibt. Natürlich gibt es die. Ich leugne auch nicht, dass die Ehe eine wunderbare Gelegenheit bietet, das Evangelium abzubilden. Aber selbst wenn Paulus von dem großen Geheimnis der Ehe spricht, und sie auf Christus und die Gemeinde bezieht, stützt er sich auf 1. Mose 2,24.
„Darum wird ein Mann seinen Vater und seine Mutter verlassen und seiner Frau anhängen, und sie werden zu einem Fleisch werden.“
Und dieser Text bezieht sich allgemein auf die Institution der Ehe und nicht speziell auf die christliche Ehe. Sowohl die christliche als auch die nicht-christliche Ehe verweisen auf das Evangelium.
Kann es sein, dass unsere übermäßige Vergeistlichung der Ehe sich in der Anzahl der christlichen Bücher zu diesem Thema niederschlägt? Auf meinem Schreibtisch befinden sich zwei neue Ehebücher, von denen mir versichert wurde, dass ich sie unbedingt lesen sollte – ganz zu schweigen von den anderen Büchern, die bereits meine Regale füllen. Ich frage mich immer wieder, ob ich den Paaren in meinem Ehevorbereitungskurs nicht ein neueres Buch zu lesen geben sollte, eines, das relevanter und zeitgemäßer ist. Der Autor eines der besagten neueren Bücher zu diesem Thema schreibt, dass er in der Vorbereitung für sein eigenes Werk über 187 Bücher entweder ganz oder in Teilen gelesen hat und das die meisten dieser Bücher von und für Christen geschrieben wurden. Ich habe nicht nachgeschaut, aber wenn ich raten müsste, würde ich sagen, dass die meisten davon im letzten Jahrhundert geschrieben wurden.
Ist es möglich, dass sich unsere übermäßige Vergeistlichung der Ehe in der Anzahl von Eheseminaren und Konferenzen für Christen zeigt? Kann es sein, dass die vielen Predigtreihen zu diesem Thema diesem Umstand geschuldet sind?
Der Punkt ist: Ich frage mich, ob wir die Ehe schwieriger gemacht haben, als sie tatsächlich ist. Ich frage mich, ob gerade deshalb viele Paare in der Ehevorbereitung solch eine Panik vor der Ehe haben, weil sie meinen, nicht bereit zu sein, und daher schlussfolgern, dass ein Scheitern unausweichlich ist.
Vielleicht ist es an der Zeit die Institution der Ehe wieder auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen. Vielleicht müssen wir wieder neu realisieren, dass wir mit dieser Institution Gott und unseren Nachbarn dienen. Vielleicht müssen wir uns neu bewusst machen, dass wir sowohl zu Christus als auch zu unserer Kultur gehören. Und vielleicht stellen wir erneut fest, wenn wir die Ehe wieder auf den Boden der Realität herunterholen, dass sie nicht immer so hart ist, wie wir oftmals meinen. Womöglich stellen wir dabei fest, dass Gott unsere Ehen segnen und sie dazu gebrauchen wird, unsere Kultur zu prägen. Vielleicht ist die Ehe Gottes Bühne, auf der seine Gnade dargestellt wird.
© Ligonier Ministries @ Tabletalk Magazine. Die Wiedergabe erfolgte mit freundlicher Genehmigung.